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Berlin: Musik im Herzen, Tränen in den Augen

Zwei Tage nach dem parlamentarisch beschlossenen Aus luden die Berliner Symphoniker zu einem Erlebnistag ins Rathaus Schöneberg

Katze oder Kontrabass, das war hier die Frage. Eigentlich wollte Maria Luisa Arnold – alle nennen sie nur Mascha – lieber schmusen, aber ihr Großvater hat sie doch überredet, mit zum „Erlebnistag Berliner Symphoniker“ ins Rathaus Schöneberg zu kommen. Und schon steht die Achtjährige an einem Instrument, das sie riesenhaft überragt, die kleinen Finger zupfen erst zaghaft, doch bald mutiger an den Saiten. Ob es Spaß macht? Muss man jetzt nicht mehr fragen.

Sonst spielt sie Klavier, und erst vor wenigen Tagen hat ihr Vater sie auf einer Balalaika spielen lassen. Trotzdem gut, dass Randell Nordstrom, Solist im Orchester, danebensteht und das sperrige Gerät im Lot hält. Ein Musiker, offenbar nicht nur geübt im Spiel, sondern ebenso darin, beim Nachwuchs gut gelaunt für seine Kunst zu werben – auch wenn ihm ganz und gar nicht munter zumute ist. „Katastrophal, bedrückt, teilweise Tränen in den Augen“ – so beschreibt er die Stimmung im Orchester, nachdem am Donnerstagabend im Abgeordnetenhaus dessen Aus beschlossen wurde: Nicht länger soll der Klangkörper mit den notwendigen 3,1 Millionen Euro subventioniert werden. „Eine unglaubliche Demütigung“, schimpft der 54-jährige Amerikaner, der seit 1976 dabei ist. In Amerika hätte er vielleicht noch eine Chance, bei einem anderen Orchester zum Probespielen eingeladen zu werden. In Deutschland sei das bei Musikern über 35 nicht mehr üblich. Sozialplan? Abfindung? Nicht bei einem gemeinnützigen Verein wie den Symphonikern.

Auch Maria Littauer, Mitglied des Vorstandes, hat die „miserable Stimmung“ an diesem Vormittag gespürt. Als international erfolgreiche Solopianistin hat sie schon oft mit dem Orchester musiziert, wird auch an diesem Tag im Alt-Schöneberger Saal ihr Instrument vorstellen. Jens-Peter Kappert und Viorel Chiriasecu haben da ihre Musikstunde im BVV-Saal schon hinter sich: Trommeln, Hupen und anderes Gerät, Kinder mögen das besonders, es macht so schön Krach. Und dass die Vorführung eines „Peitsche“ genannten, eher dem Sportunterricht zugeordneten Instruments an so einem Tag ungewollten Nebensinn hat, bekommen sie ja wohl nicht mit: „Auf die Plätze, fertig, los!“ – nicht länger für die Symphoniker.

Oder doch? Intendant Jochen Thärichen jedenfalls gibt sich kämpferisch, kündigt gerichtliche Klage gegen die Abwicklung seines Orchesters an, will auf jeden Fall weitermachen und in Kürze das Programm für die nächste Spielzeit herausbringen. Der Beginn eines „Kulturkampfes“, so sieht der Intendant die Entscheidung im Abgeordnetenhaus, verweist auf die Basisarbeit, die man hier leiste und die offenbar nicht gewünscht werde.

Schon lange im voraus war der Tag geplant, um sich im Vorfeld der politischen Entscheidung noch einmal ins rechte Licht zu setzen. Sie kam dann doch schneller – und empört natürlich auch die Besucher. Leute wie Irmgard Joachim, die mit ihren beiden Enkeln gekommen ist. Die Lage der Musiker muss ihr bekannt vorkommen. Ihr 1993 gestorbener Mann war bis 1961 beim Berliner Sinfonie Orchester Cellist, nach dem Mauerbau war der West-Berliner plötzlich arbeitslos. Damals kam ein Stuttgarter Orchester zu Hilfe, ließ sich von den musizierenden Maueropfern vorspielen – und übernahm den Cellisten. Ein Glückstreffer, auf den die knapp 60 betroffenen Symphoniker kaum hoffen dürfen.

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