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Streit um Erzieher. Archivbild aus einer Kita.

© dpa

Muslimische Eltern gegen homosexuellen Erzieher: Das Zeigen auf "die Anderen" ist unangebracht

In Berlin-Reinickendorf begehren muslimische Eltern gegen einen homosexuellen Kita-Erzieher auf. Das mag mit ihrem Migrationshintergrund erklärbar sein. Aber dabei darf man es nicht belassen. Ein Kommentar.

Wäre es nicht schön, wenn jeder Mensch nur für sich zählen würde? Wenn weder sein Aussehen noch seine Herkunft, seine Vorlieben bei der Glaubens- oder der Lebenspartnerwahl eine Rolle spielten, sondern jede und jeder für sich als das Individuum wahrgenommen würde, das sie oder er ist? Damit wäre allem Gruppendenken vom „wir“ gegen „die“ der Boden entzogen, stattdessen ginge es um „ich“ und „du“, womit sich keine Kriege führen lassen. Schön wäre das, aber es ist fern.

Wie fern, zeigt jetzt wieder ein Fall aus Berlin. In einer Kindertagesstätte begehrten muslimische Eltern gegen einen Erzieher auf, weil der homosexuell ist. Der oder wir!, war die Aufforderung an die Kita-Leitung, die sich nicht beugte. Also wurden einige Kinder abgemeldet und woanders untergebracht.

Wer nun denkt „ach, diese hinterwäldlerischen Muslime mit ihren Steinzeitvorurteilen nun wieder, die sollen doch mal ankommen in unserem aufgeklärten Deutschland“, vergisst, dass auch in Deutschland das aus der Kaiserzeit stammende Verbot von Homosexualität als Paragraf 175 ins deutsche Strafgesetzbuch fand und dort sage und schreibe bis 1994 fortbestehen konnte. Und die Entschädigung der Menschen, die nach diesem Paragrafen verurteilt wurden, wird in diesen Tagen zwar gerade wieder quer durch die Parteien begrüßt, rechtskräftig und auszahlbar ist sie bis heute allerdings nicht.

Es macht betroffen und unglücklich

Doch immerhin gibt es im Alltag eine weitgehende Gleichberechtigung, und es macht zu Recht betroffen und unglücklich, wenn die von einigen Bevölkerungsgruppen infrage gestellt wird. Deren Haltung mag erklärlich sein, wenn sie einen Migrationshintergrund haben: wenn sie aus Russland stammen, wo Homosexualität völlig tabuisiert wird und unter Berufung auf den Kinderschutz positive Äußerungen dazu in Anwesenheit von Minderjährigen, via Medien oder Internet, strafbar sind. Oder wenn sie aus Ländern wie beispielsweise Afghanistan, Marokko, Ägypten, Syrien oder Bangladesch kommen, wo homosexuelle Handlungen mit hohen Haftstrafen geahndet werden, oder gar aus dem Iran, Jemen oder dem Sudan, wo darauf die Todesstrafe steht.

Aber die Erklärbarkeit ist kein Argument dafür, es dabei zu belassen. Wenn der Spruch gilt, dass jede Kette nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied, dann ist auch jede Gesellschaft nur so aufgeklärt wie ihre unaufgeklärtesten Mitglieder. Ein Aufteilen in „wir Deutsche“ und „die Ausländer“ bringt hier nichts. Und darum ist so falsch wie typisch, dass nun gerade die AfD sich zum Kita-Streit dahingehend äußert, dass die „archaischen Muslime“ mal richtig eingenordet gehörten. Es ist dasselbe Schubladendenken wie das von den Muslimen im Kita-Streit geäußerte – nur eben mit anderen Vokabeln. Und das Zeigen auf „die anderen“ lässt darüber hinaus auch unbedacht, dass es ebenso in der deutschen Mitte Vorbehalte und Vorurteile gibt.

In Baden-Württemberg flammte vor nicht langer Zeit ein Schulstreit um die Frage auf, ob im Rahmen des Sexualkundeunterrichts auch die Normalität von Homosexualität vermittelt werden sollte. Einigen Eltern ging das zu weit. Und die waren mehrheitlich deutsch und wurden von den Kirchen unterstützt. Und in Sachsen-Anhalt hat ein Politiker der zweitstärksten Fraktion (der AfD) in einer Parlamentsdebatte um den Fluchtgrund „Haft für Homosexualität“ gerufen: „Das sollten wir in Deutschland auch machen.“

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