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Friedlicher Mai-Start. Fröhliche Mienen auf der Multi-Kulti-Meile beim Myfest in Kreuzberg. Engagierte Demonstranten bei der DGB-Kundgebung, auch diesmal mit Klaus Wowereit als „Frontmann“. Freundschaftliches Trinken mit Polizeipräsenz in der Walpurgisnacht auf dem Boxhagener Platz.

© dpa

Myfest: Familienidyll im Bullenwinkel

Bis zum Nachmittag gab es beim Kreuzberger Myfest für die Polizei wenig zu tun. Für den Abend wagte keiner eine Prognose.

Von Fatina Keilani

Bei dem Namen kaum vorstellbar, aber der Bullenwinkel ist an diesem 1. Mai der friedlichste Ort im Umkreis. Die Leute aus den Läden am Platz haben liebevoll silberne Lampen gebastelt, die über ihren Ständen hängen; es wird selbstgebackener Kuchen und Espresso verkauft und der polnische Wodka kostet pro Glas 1,50 Euro. Michael Steger ist zufrieden. „Wir machen dieses Fest, damit es keinen Krawall gibt“, sagt er. Er hat hier eine Schmuckwerkstatt. „Der Platz heißt übrigens Bullenwinkel, weil hier früher einmal eine Viehtränke war. Mit dem 1. Mai hat der Name nichts zu tun.“

Der Aspekt der Tränke hat heute immer noch Bedeutung, aber anders. Hier kommt der Alkohol ins Spiel. Sein Ausschank soll in diesem Jahr eingeschränkt sein, Glasflaschen und Dosen sind ganz verboten. Auf dem Oranienplatz und in der Naunynstraße fließen Pils und Cocktails deswegen in Plastikbecher; weiter Richtung Görlitzer Bahnhof allerdings steigt die Zahl der Menschen, die Bierflaschen in den Händen halten. Hier ist auch die Stimmung irgendwie geladener, die Zahl der Motto-T-Shirts hoch. „Staatsfeind aus Überzeugung“ trägt einer zu Springerstiefeln und Gesichtspiercing.

Die beiden Streifenpolizisten in Grün lassen sich durch so etwas nicht beeindrucken. „Es ist doch ein tootal friedliches Straßenfest hier, nicht?“ fragt der eine mit ironischem Unterton. Den Hinweis auf zahlreiche Verstöße gegen das Dosenverbot wischt er beiseite: „Wir können nicht überall sein.“ Dann bummeln die beiden weiter. Das zurückhaltende Auftreten ist vielleicht ganz gut so – mehr Exekutive könnte auf die Stimmung schlagen. „Wir merken, wenn es umkippt“, sagt der eine Beamte noch zum Abschied. „Das ist, wenn die Antworten gereizter werden. Oder man gar keine mehr kriegt.“ Der Alkohol sei Schuld daran. Von der Bühne versucht ein Punk-Gitarrist zeitgleich das müde Publikum anzufeuern: „Leute, Ihr müsst mehr Bier saufen!“. Es ist eben erst 15 Uhr, da sind die Pegel noch nicht so.

Noch ist es mehr unterschwellig, was sich da andeutet. Während in der Oranienstraße gerade die Punkband „The Bottrops“ das schafft, was der anderen Band versagt blieb, nämlich ein Publikum in Fahrt zu bringen, sieht man einen Mann mit Einkaufsbeutel unauffällig Glasflaschen einsammeln. Ist das jetzt ein gutes Zeichen, dass er so gewissenhaft im Kiez für Ordnung sorgt? Darauf angesprochen, taucht der Mann mit kurzem, eiskaltem Blick wortlos ab. Ist er der Materialbeschaffer für spätere Molotowcocktails?

Ob das Beten geholfen hat, wird sich erst in der Nacht erweisen. Versucht haben sie es jedenfalls: Zu Beginn des Myfests gab es einen christlichen Gottesdienst, veranstaltet vom Netzwerk „Gemeinsam für Berlin“, zu dem sich vor allem Christen aus Freikirchen zusammengeschlossen haben.

Am Nachmittag jedenfalls ist das Myfest tatsächlich noch friedlich. Familien jedweder Zusammensetzung bummeln über die Festmeilen zwischen Oranienplatz und Görlitzer Bahnhof, sie tragen Babys und schieben Kinderwagen, sie essen Gegrilltes vom Türken, der auch Bratwurst und Alkohol ausschenkt. Anwohner verkaufen Selbstgemachtes quasi durchs Wohnzimmerfenster, von 15 Bühnen schallt Musik.

Ach ja, die Bühnen. Vor dem Fest hatte es darüber Unstimmigkeiten gegeben; die Initiative Kiezkultur teilte mit, der Aufbau ihrer Großbühne in der Oranienstraße entfalle. Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) habe die erprobte Myfest-Crew nicht einmal mit in die Planung des Fests einbezogen; gegen diese „Inszenierung von Senat, Bezirksamt und Polizei“ solle protestiert werden. Das Myfest wird seit 2003 jährlich vom Bezirksamt veranstaltet, um Randalierern den Raum zu nehmen.

Michael Steger rechnete am Tage auch weiter mit einem friedlichen Fest. Die Hemmschwellen würden erst am Abend fallen, wenn alle zu viel Alkohol getrunken hätten, sagt er. Dann müsse man hoffen, dass es nicht ausartet.

Malte Zacharias, 37, der ein Lokal weiter das „Gartenstudio“ betreibt, eine Kiezküche, ist in Gedanken schon weiter. Das Myfest sei zwar etwas Besonderes, weil es vor der eigenen Ladentüre stattfinde, sagt er. Mit seiner Kinder-Kochschule hat er aber das ganze Jahr Termine. Nächstes Wochenende will er dem Nachwuchs zeigen, dass es auch Essen gibt, das nicht aus einer Packung kommt: Beim Eröffnungswochenende des Tempelhofer Flugfelds.

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