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Berlin: Mythen und Riten: Auf den Reis kommt es an

Kurz vor Ende des Zeremoniells am Altar verschwinden ein paar Freunde des Hochzeitspaares vor die Tür. Kichernd und mit Tüten raschelnd.

Kurz vor Ende des Zeremoniells am Altar verschwinden ein paar Freunde des Hochzeitspaares vor die Tür. Kichernd und mit Tüten raschelnd. Und wenn dann die Frischgetrauten vor die Kirche treten, geht ein Regen von Reiskörnern auf sie nieder. Das soll, egal, von welcher Gottheit, Fruchtbarkeit erbitten für die Brautleute. In Europa wird dieser Brauch heute fast überall praktiziert. Doch wo er entstanden ist, liegt im Dunkeln. Ein seit Jahrhunderten in Europa gewachsenes Kulturgut ist es auf jeden Fall nicht, sagt Wolfgang Kaschuba, Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Uni. Schließlich kam der Reis erst im 19. Jahrhundert als Importgut in die Alte Welt.

"Das Werfen mit Lebensmitteln wie mit Erbsen kennt man historisch zwar auch bei uns, aber meist bei Veranstaltungen zwischen Fest und Protest, beim Karneval zum Beispiel", erläutert Kaschuba. Beworfen zu werden, hieß also eher, Opfer eines derben Scherzes zu sein. Der heutige hochzeitliche Wurfreis ist nach Meinung des Professors aus Amerika nach Europa gekommen, als Teil der Glitzer- und Spaßwelt, die Hollywood produzierte. "Dort ist die Idee, dass Reis ein Symbol für Fruchtbarkeit ist, wahrscheinlich von asiatischen Emigranten in die Gesellschaft eingebracht worden, wie viele Teile unserer heutigen Freizeit-Kultur." Auch in der Türkei hat sich parallel ein Reisbrauch entwickelt: Dort gibt es den Hochzeitsreis als Gericht, den so genannten Dügün Pilavi. Er wird am Tag der Hochzeit dem zukünftigen Schwiegersohn ins Haus geschickt und symbolisiert, dass die Tochter nicht länger zu den Eltern gehört und den Wunsch, dass das Paar viele Kinder bekommen möge. So lieb Hochzeitspaaren der Wurfreis ist, so ist er doch umstritten. Ein Argument dagegen ist, dass man keine Lebensmittel zum Spaß verschleudern solle. Ein zweites Argument: Rutschgefahr. Und: zu viel Dreck! Zumindest dem ersten Argument kann aus dem Weg gehen, wer Kunstreis wirft. Den gibt es bei einer italienischen Firma sogar in fünf Farben. Mit Glitzerpartikeln. Er heißt "riso allegro" - fröhlicher Reis.

rcf

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