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Eine brennende Trauerkerze vor der Französischen Botschaft in Berlin.

© dpa

Nach dem Anschlag in Paris: Gebete in Berlin: "Wo war Gott?"

Gottesdienst in der Französischen Friedrichstadtkirche, zu Füßen des Französischen Doms am Gendarmenmarkt. "Es war emotionaler als sonst", sagt die Predigerin.

Dann, ganz am Schluss, als alle zusammengekommen sind und sich an den Händen halten, erklingen die ersten Takte: „Allons enfants de la Patrie …“, der Organist spielt die Marseillaise, das Lied der stolzen Franzosen. Er spielt es nicht auf der Orgel, er nimmt den Flügel, der unter der Kanzel steht. Er macht ein leises, fast verzagtes Lied daraus.

Dann ist der Gottesdienst „nach französisch reformierter Ordnung“ zu Ende, den sie hier in der Französischen Friedrichstadtkirche, zu Füßen des Französischen Doms am Gendarmenmarkt, an jedem Sonntag um 11 Uhr abhalten. Die beiden Gottesdienste. Der eine oben im Kirchensaal auf Deutsch, auf Französisch der andere, im Souterrain, der Unterkirche.

Nüchterne Räume sind das, mit Konferenzstühlen versehen und grauem Teppichboden, kein Kreuz, keine Bildnisse, kein Altar. Nüchtern sollen auch die Gottesdienste sein. Sollen. „Es war emotionaler heute als sonst“, sagt die Predigerin Kathrin Oxen nach den Anschlägen von Paris. Sie hat oben gesprochen. Claudine Hornung, die unten predigte, hat Tränen in den Augen.

Bei ihr war es zuvor um das Zweifeln gegangen, um den Apostel Thomas, der wegen seines Zweifelns als der „ungläubige Thomas“ gilt. „Ich wollte erklären, dass der Zweifel zum Glauben gehört“, sagt sie, dass er etwas Gutes ist. Sie sagt: „Islamisten zweifeln nicht.“

„Das Leben ist ein Zyklus aus Zweifel und Fragen.“ Und auf viele Fragen gibt es keine Antwort, sagt sie, weil die Menschen mit dem Gehirn funktionieren wollen. Wohl auch auf jene, die sich immer stellt, wenn Menschen Menschen etwas antun. „Wo war Gott?“ Hornung sagt: „Die Gründe des Bösen kann man nicht verstehen.“

20 Menschen sind beim Gottesdienst

Im Gottesdienst haben 20 Menschen vor ihr gesessen, die meisten von ihnen stammen aus Afrika, viele davon aus Kamerun, wo im Sommer Boko-Haram-Terroristen mit Attentatsserien für Tod und Entsetzen sorgten. Wo war Gott damals, und wo war er am Freitagabend in Paris? Junge Paare hören zu, Familien mit kleinen Kindern.

Oben im Kirchensaal stellte ungefähr zur gleichen Zeit der Pfarrer Jürgen Kaiser einen Forderungskatalog auf. „Erhebe dich, unser Gott, steh auf und nimms selbst in die Hand. Mach Frieden.“

Er möge den „Wahnsinnigen die Bomben“ abnehmen, „reiß’ den Fanatikern die Kalaschnikow aus der Hand. åWir schaffen es nicht allein.“

In den Ohren eines Agnostikers mag das eine Kapitulationserklärung sein. In den Ohren eines Gläubigen ist es eine Handlungsanleitung. Denn wo soll dieser Gott denn sein, wenn nicht in den Menschen selbst? Mit folgender Ausnahme: „ Erhebe dich, unser Gott, steh auf und zeig denen, die dich Allah nennen und schreien, du seist groß, und dann töten, zeig denen deine wahre Größe.“

Kein Altar, kein Kreuz, dafür aber die Kanzel und ein großer, auf kunstgedrechselten Füßen stehender Tisch mit einer Kerze und einem Blumenstrauß darauf. Vor allem jedoch: deutliche, unverdrechselte Worte.

Worte, die einmal noch deutlicher waren. Kathrin Oxen predigt über den Psalm 68, der in seiner vertonten Variante einst das „Lied der geängstigten Franzosen“ war. Protestantenverfolgung, Hugenottenkriege, der Psalm wurde ihr Schachtengesang. „Gott, steht auf, und seine Feinde zerstieben, du verwehst sie wie Rauch, wie Wachs vor dem Feuer schmilzt. So vergehen die Frevler vor Gottes Angesicht.“

Ein Ton sei das, sagt Oxen, der uns heute befremde. Den Sieg laut hinaus singen, „ihn herbeiwünschen aus voller Kehle - wir streichen gewöhnlich solche Passagen, wenn wir sie im Gottesdienst verwenden.“ Aber in diesen Tagen? „Ist es mein Lied. Steh auf, Gott. Lass dir nicht gefallen, dass dein Name so missbraucht wird bei uns Menschen.“ Und ihr Menschen, spürt bitte, welche Kraft euch mit Psalmen wie diesen - „Vater der Waisen, Helfer der Wtwen, Hüter der Einsamen“ kommt auch darin vor - gegeben ist. 

Dann geht der Organist an den Flügel.

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