zum Hauptinhalt
Von vier bis zehn Uhr dauerte am Donnerstag der Streik der Lokführer. Nur wenige Berliner S-Bahnen fuhren. Inzwischen füllen sich die Bahnhöfe wieder, doch es gibt weiterhin Zugausfälle und Verspätungen. Diese Aufnahme wurde am Bahnhof Friedrichstraße gemacht. Weitere Streikbilder in der folgenden Bildergalerie.

© Reuters

Update

Nach dem Streik: GDL erntet Kritik von allen Seiten

Der Lokführerstreik hat am Donnerstagmorgen in ganz Deutschland den Zugverkehr lahm gelegt. Fahrgäste der Berliner S-Bahn waren zur Hauptverkehrszeit besonders stark betroffen.

Der sechsstündige Streik der Lokführer hat am Donnerstagmorgen in Berlin und vielen anderen deutschen Städten ein Verkehrschaos ausgelöst. Hunderttausende Pendler waren von dem Ausstand im Personenverkehr betroffen, durch den in den Ballungsräumen auch zahlreiche S-Bahnen ausfielen. Die Lokführer-Gewerkschaft GDL bestreikte zudem die ganze Nacht den Güterverkehr. Laut GDL fielen bundesweit mehr als 80 Prozent der Züge aus oder kamen verspätet. Die Bahn rechnet noch bis zum Abend mit Behinderungen.

Berlin sei ein Schwerpunkt der Arbeitskampfmaßnahmen gewesen, sagte DB-Personalvorstand Ulrich Homburg am Vormittag im Berliner Hauptbahnhof. Er reagierte mit Unverständnis auf den Streik. Dieser sei „gänzlich widersinnig“, erklärte Homburg. Der Konzern biete den Lokführern die besten Bedingungen in der Branche und werde dafür bestreikt. „Das versteht kein Mensch mehr und ist absolut nicht akzeptabel“, kritisierte Homburg.

Die GDL verhandelt mit dem Branchenführer sowie mit den Privatbahnen, die zum Teil deutlich schlechter als die Deutsche Bahn bezahlen. Die Gewerkschaft fordert einen bundesweit gültigen Flächen-Tarifvertrag für Lokführer bei allen Unternehmen im Nah-, Fern- und Güterverkehr. Ziele sind ein einheitliches Mindesteinkommen auf dem Niveau des Marktführers Deutsche Bahn sowie weitere einheitliche Regelungen.

Die Lokführergewerkschaft vertritt in diesem Tarifstreit die Interessen von etwa 26.000 Betroffenen. In einer Urabstimmung haben sich am Montag 90 Prozent der Mitglieder nach zwei Warnstreiks in der vergangenen Woche für einen unbefristeten Streik ausgesprochen.

Der Fahrgastverband Pro Bahn mahnte, die Geduld der Kunden nehme „ganz stark ab“. Es sei „nicht nachvollziehbar, dass hier eine kleine Gewerkschaft versucht, ihre Partikularinteressen durchzusetzen und dafür letztendlich die Kunden, die ja eher solidarisch eigentlich mit den Gewerkschaftsforderungen sind, als Geiseln zu nehmen“, sagte der Vorsitzende Karl-Peter Naumann der Nachrichtenagentur dpa.

Kritik an der GDL übte auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). Immer häufiger würden verärgerte Fahrgäste ihren Unmut an Mitarbeitern im Service und der Auskunft oder an auch Zugbegleitern oder Fahrkarten-Verkäufern auslassen, erklärte EVG-Chef Alexander Kirchner. Die streikenden Lokführer schlössen sich in den Führerständen ein und die Kollegen müssten „das Chaos ausbaden, das da angerichtet wird.“ Die GDL habe sich zudem „verzockt“ und kriege „nun keinen Fuß mehr auf den Boden.“ Zuletzt hatten sich mehrere der bestreikten privaten Bahnunternehmen geweigert, die Verhandlungen mit der Gewerkschaft fortzusetzen.

Die Wirtschaft griff die Lokführer-Gewerkschaft wegen der Streiks im Güterverkehr scharf an. Es sei Besorgnis erregend, wie eine relativ kleine Gewerkschaft „den Nerv einer hoch entwickelten Volkswirtschaft trifft“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, im Bayerischen Rundfunk.

GDL-Chef Claus Weselsky zeigte sich zufrieden mit der Streikbeteiligung und gab sich kämpferisch: "Wer uns kennt, weiß, dass wir sehr weit gehen können. Aber das wollen wir eigentlich nicht, denn wir wollen Verhandlungen", sagte er in Mannheim.

Die Deutsche Bahn rechnet damit, dass sich die Lage auf den Gleisen am Nachmittag wieder normalisiert. Die Berliner S-Bahn konnte sich bereits am Mittag von den Folgen des Streiks erholen, wie ein Sprecher mitteilte. Im Fernverkehr kann es noch bis zum Abend dauern, bis die Züge wieder nach Fahrplan verkehren.

Am Morgen waren viele Bahnhöfe in Berlin fast menschenleer. Das Personal in den Bahnhofsläden hatte nur wenige Kunden zu bedienen. Nach dem offiziellen Streikende füllten sich die Bahnsteige jedoch wieder rasant. Vor allem Touristen und ITB-Besucher machten sich auf den Weg in den Westen Berlins - und blieben auf der Strecke. Anzeigentafeln und Durchsagen gaben nur sporadisch Auskunft über Abfahrtszeiten. Die S3 pendelte schon um kurz nach zehn wieder auf der Strecke Erkner - Zoologischer Garten immerhin im 20-Minuten-Abstand.

Ein Sprecher der S-Bahn Berlin bat die Fahrgäste, noch "etwas Geduld mitbringen". Es könne noch weiterhin zu Lücken und Unregelmäßigkeiten im Fahrplan kommen. Im Regional- und Fernverkehr müssen die Reisenden noch mindestens bis zum Nachmittag mit Behinderungen rechnen. Insbesondere die Fernzüge erholen sich nicht so schnell von den Streiks.

Berufspendler in Berlin mussten auf die Verkehrsmittel der BVG ausweichen. Linienbusse, U-Bahnen und Tramzüge waren am Donnerstagmorgen deshalb häufig überfüllt. Einen Schienenersatzverkehr gab es nicht, da die Lokführer-Gewerkschaft ihren Streik kurzfristig angekündigt hat. Geschädigt waren vor allem Ortsfremde und Touristen, die zum Flughafen mussten oder die Tourismusmesse besuchen wollten. BVG-Mitarbeiter in grünen Westen mit der Aufschrift "BVG Kundendienst" versuchten, den gestrandeten Reisenden die beste Alternative mit Bus, Tram und U-Bahn aufzuzeigen. Manchmal heißt die einzige Alternative aber: "Nehmen Sie ein Taxi!"

Das erwies sich an diesem Morgen allerdings ebenfalls als nicht so einfach. Viele Taxiunternehmen waren bereits durch die Tourismusmesse ITB voll ausgelastet. Auf allen Zufahrtsstraßen zum Messegeländer dominierten am Vormittag die gelben Wagen mit dem Leuchtschild das Straßenbild.

Die Bahn hat ebenfalls versucht, ihre Kunden aktuell zu informieren. Am Ostbahnhof zum Beispiel hat das Unternehmen einen zusätzlichen mobilen "Service-Point" eröffnet. Denn längst nicht alle Fahrgäste wussten Bescheid über den Streik, der erst am Mittwochnachmittag angekündigt worden war. "Hätte ich das gewusst, dann hätte ich die U-Bahn genommen", flucht ein Pendler am Ostkreuz. Erst als er die GDL-Gewerkschafter in ihren Streikwesten sah, habe er erkannt, dass heute wohl wieder nichts fahre.

Da können auch die freundlichen Damen in orangefarbenen Westen die Stimmung nicht wirklich aufhellen. Für den Kaffee, den sie im Auftrag der Bahn kostenlos an deren Kunden ausschenken, sind aber die meisten verprellten Fahrgäste durchaus dankbar. "Aber wir bekommen auch einiges ab", sagt eine der Frauen in der Bahnhofshalle. "Dabei betrifft es uns ja genauso. Wir mussten auch irgendwie hierher kommen. Und wir stehen immerhin schon seit halb sechs hier."

In einigen Berliner U-Bahnen, zum Beispiel der U2 auf dem Abschnitt in Mitte, herrschten am Donnerstagmorgen fast schon Tokioter Verhältnisse mit drangvoller Enge. Die allermeisten Fahrgäste trugen das Ganze mit Fassung. Ein Tagesspiegel-Online Leser berichtet jedoch, dass die BVG-Mitarbeiter offenbar teilweise mit der Situation überfordert und genervt waren. Fahrgäste wurden gebeten, die nächste U-Bahn zu nehmen. Wer aussteigen wollte, musste sich seinen Weg erst frei kämpfen. An den überfüllten U-Bahnhöfen hatten Familien mit Kinderwägen schlechte Karten, die Fahrgäste reagierten zunehmend gereizt.

Die BVG habe jedoch versucht "mit größtmöglichem Einsatz", alle Fahrgäste rechtzeitig zum Arbeitsplatz zu befördern. Zwar gab es keine zusätzlichen Fahrten, doch man habe längere Züge eingesetzt. Dass der Verkehr trotz des erhöhten Kundenverkehrs bisher ohne große Verzögerungen verlaufe, verbucht das Unternehmen als Erfolg.

Eine weitere Auswirkung des Streiks: Die Parkplatzsituation an U-Bahnhöfen verschärfte sich dramatisch. Berufspendler aus den Randbezirken versuchen nämlich, mit dem Auto den Anschluss an das Verkehrsnetz der BVG zu bekommen. Die Parkplatzsuchenden behinderten wiederum den Verkehrsfluss.

Wer aufs Auto umsteigen kann, muss wenigstens nicht mit größeren Staus durch neue Baustellen rechnen. Probleme kann es auf den Autobahnen geben. Der Britzer Tunnel auf dem Stadtring muss auch schon an normalen Tagen wegen des starken Fahrzeugaufkommens in der Hauptverkehrszeit fast regelmäßig vorübergehend gesperrt werden.

Arbeitsrechtlich muss man auch bei einem Streik pünktlich am Arbeitsplatz erscheinen; selbst wenn der Ausstand so kurzfristig angekündigt wurde wie gestern.

Informationen gibt es bei den Verkehrsbetrieben im Internet oder telefonisch: Bei der Bahn gratis unter Tel. 08000 99 66 33. Das Servicetelefon der BVG ist unter 19 44 9 zu erreichen, bei der S-Bahn unter 297 433 33 und beim Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) unter 25  41 41 41. (mit dpa/AFP/dapd)

Wie haben Sie den Streik erlebt, liebe Leserinnen, liebe Leser? Sind Sie trotzdem gut zur Arbeit gekommen oder dorthin, wo sie heute früh hinwollten? Fühlten Sie sich gut informiert? Haben Sie Verständnis für den Streik der Lokführer oder halten Sie gar nichts von dem Ausstand? Kommentieren und diskutieren Sie mit! Bitte nutzen Sie dazu die einfach zu bedienende Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false