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Zettel und Wirtschaft. Im knappsten Wahlkreis Berlins könnte noch einmal alles ganz anders kommen.

© dpa

Nach der Berlin-Wahl: Grünen-Politiker will Neuauszählung der Stimmen in Mitte

Ein Grüner will vorm Verfassungsgericht eine Neuauszählung erzwingen. Das kann brisante Folgen haben.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Sechs Stimmen Vorsprung hatte Thomas Isenberg, der SPD-Kandidat im Wahlkreis 3 in Mitte, bei der Abgeordnetenhauswahl am 18. September. Jetzt will ihm der unterlegene Konkurrent, Tilo Siewer von den Grünen, das Direktmandat im Kiez rund um den Großen Tiergarten streitig machen. Er zog am Freitag mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung vor das Landesverfassungsgericht, um eine Nachzählung der Wählerstimmen im gesamten Wahlkreis zu erzwingen.

Nicht nur SPD und Grüne, sondern auch CDU und AfD verfolgen den Rechtsstreit interessiert. Falls der Verfassungsgerichtshof dem Grünen-Politiker recht gibt und Siewer bei einer Neuauszählung den Wahlkreis nachträglich gewinnt, käme einiges ins Rutschen: Der Sozialdemokrat Isenberg verlöre sein Direktmandat, stattdessen zöge Siewer ins Parlament ein. Darüber könnten sich die Grünen aber nicht freuen, weil ihnen landesweit zwei Ausgleichsmandate abhanden kämen. CDU und AfD müssten jeweils auf ein Ausgleichsmandat verzichten. Nur Linke und FDP blieben ungeschoren.

Das Berliner Parlament würde in diesem Fall von 160 auf 156 Abgeordnete schrumpfen. Das komplexe Wahlsystem (mit Direkt-, Überhang- und Ausgleichsmandaten) macht es möglich, dass ein paar Wählerstimmen hin und her in einem von 78 Wahlkreisen die gesamte Mandatsverteilung durcheinanderbringen.

Eilantrag auf Wahlprüfung eingegangen

Das funktioniert so: Im Wahlkreis 3 gewann Isenberg nach bisheriger Auszählung ein Mandat zu viel. Denn der SPD hätten in Mitte aufgrund des bezirklichen Wahlergebnisses nur drei Sitze zugestanden. Die Sozialdemokraten eroberten aber vier Direktmandate, die ihnen auch niemand wegnehmen kann. Also wird zugunsten der anderen Parteien ein Ausgleich hergestellt, damit sie im Parlament ihrem Wahlergebnis entsprechend vertreten sind. Sollte das Isenberg’sche Überhangmandat verloren gehen, gilt das auch für die entsprechenden Ausgleichsmandate von CDU, Grünen und AfD.

Sven Rissmann.
Sven Rissmann.

© promo

Bei den Christdemokraten träfe dies den Rechtsexperten Sven Rissmann, der auch in der Debatte um Sexismus-Vorwürfe eine Rolle spielt. Sein Platz 2 auf der CDU-Bezirksliste in Mitte käme nicht mehr zum Zuge. Bei den Grünen müssten die Kulturpolitikerin Sabine Bangert und der Informatiker Stefan Ziller auf ihr Listenmandat verzichten. Bei der AfD käme Hanno Bachmann, der im Berliner Landesverband für Integration zuständig ist, der Parlamentssitz abhanden. Ob es so kommt, wird man sehen. Eine Sprecherin des Berliner Verfassungsgerichts bestätigte am Freitag, dass der Eilantrag auf Wahlprüfung eingegangen sei. Man werde ihn nun prüfen. Ob es tatsächlich zu einer schnellen Entscheidung kommt, ist offen. Zumal der Landeswahlausschuss am 5. Oktober erst einmal das endgültige Wahlergebnis feststellen wird.

265 falsch ausgezählte Stimmen

Der Einspruch des Grünen-Politikers Siewer wird vom Vorstand seiner Bezirksgruppe Mitte unterstützt. Begründet wird der Antrag, alle Erststimmen im Wahlkreis 3 erneut auszuzählen, mit „erheblichen Mängeln“, die am 21. September bei einer Teilnachzählung in wenigen ausgewählten Stimmbezirken festgestellt wurden. Veranlasst wurde die stichprobenartige Nachzählung vom Bezirkswahlleiter Rainer Rinner. Laut Antragsschrift ergab diese Nachprüfung in vier Stimmbezirken insgesamt 265 falsch ausgezählte Stimmen.

Angesichts des äußerst knappen Wahlausgangs seien dies Fehler, die „für die Richtigkeit der Mandatszuteilung als relevant und damit erheblich anzusehen sind“, schreibt Siewers Anwalt. Weitere erhebliche Zweifel am ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl seien bei der Einsichtnahme in Wahlniederschriften weiterer Stimmbezirke aufgekommen, deren Angaben unvollständig, fehlerhaft oder nicht nachvollziehbar seien. Trotzdem lehnte der Bezirkswahlausschuss eine Nachzählung aller Erststimmen im Wahlkreis 3 ab, weil er keine „substantiierten Mängel“ sah.

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