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Treppauf, treppab mit Kind und Kinderwagen. Das ist für Eltern nicht einfach. Viele Richter sagen deshalb, es sei Mietern nicht zuzumuten, ihre Kinderwagen in obere Stockwerke zu bugsieren. Gegen diese Haltung rebellieren Berliner Hausbesitzer.

© Kitty Kleist-Heinrich

Nach Hausbrand in Neukölln: Vermieter: Kinderwagen müssen weg

Nach dem Tod dreier Menschen wegen eines angezündeten Kinderwagens fordern Hauseigentümer, dass Mieter nichts im Hausflur abstellen dürfen. Richter sind oft anderer Ansicht.

Hauseigentümer fordern nach dem tödlichen Hausbrand in Neukölln eine Änderung der Rechtsprechung. „Vermieter dürfen nicht verpflichtet werden, Kinderwagen in Hausfluren zu tolerieren“, fordert Wolfgang Becker, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins Wilmersdorf. „Vor allem die Eigentümer von Altbauten mit Treppenhäusern, bei denen Stufen und Geländer aus Holz sind, wehren sich seit Jahren ohne jeden Erfolg gegen eine solche Rechtsprechung“, sagt Becker. Nach dem Baurecht sind Kinderwagen, ebenso wie zum Beispiel Möbelstücke, in Treppenhäusern eindeutig verboten, sie sind nach Angaben der Feuerwehr eine „Brandlast“, also brennbar, und zudem ein gefährliches Hindernis sowohl für Flüchtende als auch für Retter.

Dennoch urteilen Gerichte bei Streitigkeiten zwischen Vermietern und Mietern immer wieder zugunsten der Mieter, die Kinderwagen im Hausflur abstellen wollen, weil ihnen das Hochtragen in die Wohnung zu beschwerlich ist. Besonders ärgert sich Becker über die Begründung eines Urteils des Landgerichts Berlin, das 2009 einem Mieter das Abstellen der Kinderkarre im Treppenhaus erlaubte: Darin heißt es: Eine Verbotsverfügung vom Ordnungsamt wegen Verletzung der Brandschutzbestimmungen sei ja bislang nicht ergangen. Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky, auch zuständig für das Ordnungsamt, wundert sich über die Richter: „Die Ordnungsämter sind dafür gar nicht zuständig. Die verstehen von Brandschutz auch überhaupt nichts.“ Das Landgericht aber wischte das Baurecht einfach beiseite, in dem es feststellte, dass „keine konkrete Verletzung der Brandschutzbestimmungen vorliegt“.

Rechtsanwalt Becker beklagt vor allem, dass noch kein Gericht in einer dieser Entscheidungen die Feuerwehr zu Rate gezogen habe. Dies bestätigt ein Sprecher der Feuerwehr auf Nachfrage. Sinnvoll sei ein Verbot auf jeden Fall, betont der Sprecher. „Brandstifter zünden an, was da ist. Die bringen nichts mit.“

Der Sprecher des Berliner Haus- u. Grundbesitzervereins, Dieter Blümmel, sagte, dass bei Kinderwagen-Prozessen etwa zwei Drittel der Urteile zugunsten der Mieter ergehen, nur ein Drittel für die Vermieter. Blümmel und Becker hegen die gleiche Hoffnung:  „Vielleicht ändern die Richter nach dieser Katastrophe ihre Meinung.“ Blümmel betonte, dass ein Treppenhaus nur dazu da ist, in die Wohnung zu gelangen, abgestellt dürfe dort nichts werden, gar nichts.

Auch die größte Berliner Brandkatastrophe der vergangenen 50 Jahre – das Feuer in der Ufnaustraße in Moabit 2005 – war durch einen angezündeten Kinderwagen verursacht worden. Ein strafunmündiger Zwölfjähriger hatte „aus Langeweile“ gezündelt, neun Mieter starben. Anschließend hatte die Feuerwehr vorgeführt, wie schnell ein Kinderwagen in Flammen steht: In zwei Sekunden, ein Feuerzeug daranzuhalten reicht aus. Der Rauch, der beim Verbrennen von einem Kilo Schaumstoff entsteht, reicht nach Berechnungen von Experten aus, ein Treppenhaus komplett mit giftigem Qualm zu verrauchen. Nach der Tragödie von Moabit hatte der damalige Landesbranddirektors Broemme versucht, ein Verbot leicht entflammbarer Stoffe bei Kinderwagen durchzusetzen, war jedoch am Widerstand der EU gescheitert.

Ermittler  berichteten am Montag, dass auf dem Podest im Hochparterre in der Sonnenallee fünf Kinderwagen standen, zudem sei in den stillgelegten Toiletten auf dem halben Absatz Sperrmüll gelagert worden, darunter hätten Kühlschränke gestanden. Obwohl keine Brandbeschleuniger eingesetzt wurden und die Feuerwehr sieben Minuten nach dem Alarm, eingetroffen sei, hätte bereits eine Fläche von 150 Quadratmetern in zwei Wohnungen und dem Treppenhaus gebrannt, kurz darauf sei das Feuer in den zweiten Stock durchgebrochen, berichtet Landesbranddirektor Wilfried Gräfling.

Die Mordkommission hat immer noch keine Spur vom Täter. Bislang seien nur wenige Hinweise eingegangen. Derzeit werden die Verletzten und die anderen Bewohner befragt.

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