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Uli Hoeneß wurde zu 3,5 Jahren Haft verurteilt. In Berlin ging's ihm besser.

© dpa

Nach Hoeneß-Urteil: Wie funktioniert der offene Vollzug?

Eine Haftstrafe im offenen Vollzug macht aus den Häftlingen Freigänger. Tagsüber raus, abends rein: Ein Häftling wie Hoeneß hätte in Berlin sofort die Chance auf offenen Vollzug. In seiner Heimat Bayern wird er sich in Geduld üben müssen.

Berlin ist nicht Bayern: Ein zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilter Steuerhinterzieher wie Uli Hoeneß würde in Berlin seine Strafe in der JVA des offenen Vollzugs beginnen, als sogenannter „Selbststeller“ – eine Regelung für alle, die nach einem Gerichtsurteil zunächst auf freiem Fuß sind. Wenige Wochen nach dem Urteil bekäme der Verurteilte in Berlin eine „Ladung zum Haftantritt“. Innerhalb einer gesetzten Frist sollte er dann montags bis freitags zwischen 8 und 12 Uhr am Gefängnis klingeln. Im Jahr 2012 betraf das 616 zu Haft verurteilte Männer.

Welches Gefängnis?

Der offene Vollzug für Männer hat in Berlin vier Standorte. Zur JVA Hakenfelde gehören drei, zudem gibt es die neue JVA Düppel. Insgesamt stehen 908 Plätze zur Verfügung. In der Ladung wird die Adresse genannt. In den Hinweisen heißt es gleich zu Beginn: „Achten Sie darauf, dass Sie nicht unter dem Einfluss alkoholischer Getränke oder anderer Rauschmittel stehen.“ 

Wer Gesprächsbedarf hat, geht in eine Telefonzelle – wohl der letzte Ort, der noch „Zelle“ heißt.
Wer Gesprächsbedarf hat, geht in eine Telefonzelle – wohl der letzte Ort, der noch „Zelle“ heißt.

© Mike Wolff

Was passiert bei Haftantritt?

Der Verurteilte wird erst einmal eingesperrt. In den folgenden zwei bis vier Wochen wird geprüft, ob der Gefangene für den offenen Vollzug geeignet ist. Der Sozialdienst der Justiz übernimmt diese „Erforschung der Persönlichkeit und der Lebensverhältnisse des Gefangenen“, in schwierigen Fällen wird ein Psychologe hinzugezogen. Dann folgt die „Eignungsprüfung“. Kriterien sind unter anderem: Der Gefangene muss zustimmen, Flucht- oder Missbrauchsgefahr durch neue Straftaten müssen ausgeschlossen sein. Von den 616 Selbststellern im Jahr 2012 kamen 541 Gefangene (also 88 Prozent) in den offenen Vollzug, 75 wurden in den geschlossenen Vollzug verlegt.

Was ist im offenen Vollzug verboten? 

Waffen, Werkzeuge, Alkohol, Medikamente, Computer, Speichermedien wie CDs und DVDs sind natürlich tabu. Erlaubt sind nach Genehmigung Geräte wie Fernseher, Wasserkocher oder Kaffeemaschine. Allerdings wird in der Ladung darauf hingewiesen, dass die Geräte nicht gleich am ersten Tag mitgebracht werden sollen, „da Sie entweder ganz oder zumindest anfangs in einer Mehrfachbelegung untergebracht“ sein können. Lebensmittel sind in geringen Mengen erlaubt. Und weiter heißt es in dieser JVA-Bedienungsanleitung: „Sinnvoll wäre es, ein Kopfkissen mitzubringen“.

Dicke Schlösser und Schlüssel wie im Tegeler Gefängnis sind heute eher selten. In der JVA Düppel haben die Häftlinge im offenen Vollzug selbst die Schlüssel zu ihrem Haftraum.
Dicke Schlösser und Schlüssel wie im Tegeler Gefängnis sind heute eher selten. In der JVA Düppel haben die Häftlinge im offenen Vollzug selbst die Schlüssel zu ihrem Haftraum.

© dpa

Was heißt denn „offener“ Vollzug?

Wer als geeignet eingestuft wird, hat die Möglichkeit, als Freigänger seine alte Arbeit fortzuführen oder eine neue aufzunehmen. Der Lohn wird von der Anstalt verwaltet. Ausgezahlt werden an den Gefangenen monatlich 300 Euro für die Bestreitung des Lebensunterhaltes sowie die Kosten für eine Monatskarte des VBB. Ein Teil des Lohnes fließt in die Staatskasse, nämlich die Haftkosten. Die Höhe richtet sich nach der Belegung der Zelle, derzeit 53 bis 180 Euro ohne Verpflegung. Denn Gefängnis gibt es nicht umsonst. Vom Rest des Arbeitslohnes wird „die Familie unterstützt, Schadenersatz geleistet oder Schulden reguliert“, es können also Steuerschulden damit beglichen werden. Wer noch keinen Freigang hat, wird als Hausarbeiter oder in offiziell so bezeichneten Arbeitskommandos eingesetzt, zum Beispiel zum Laubharken oder in der Gärtnerei.

Gefangene leben heute nicht mehr in Zellen, sondern in Hafträumen.
Gefangene leben heute nicht mehr in Zellen, sondern in Hafträumen.

© IMAGO

Wie beliebt ist der offene Vollzug? 

Seit Anfang der neunziger Jahre hat Berlin dieses Modell. Im Schnitt sind 30 Prozent aller Inhaftierten so untergebracht. Vorteil zum Beispiel gegenüber Bayern: Selbststeller können mit ihrem Arbeitgeber vereinbaren, dass sie zwei bis vier Wochen „Urlaub“ nehmen für die vorgeschriebene Prüfung auf Eignung. So wird der Arbeitsplatz erhalten. In Bayern kommt jeder Gefangene zunächst in eine normale JVA, erst nach mehreren Monaten kann er Freigang bekommen. In Bayern gibt es 11 241 Plätze im Gefängnis, nur 887 davon (also 7,5 Prozent) im offenen Vollzug.

Das Berliner Modell ist so attraktiv, dass die Staatsanwaltschaft vor einigen Jahren einen „regen Vollstreckungstourismus“ kritisiert hatte. Viele in anderen Bundesländern Verurteilte würden sich nach Urteil und vor Haftantritt einfach nach Berlin ummelden. Tatsächlich, das bestätigt die Justizverwaltung, waren im April 2013 genau 4,4 Prozent der Inhaftierten nur deshalb in Hakenfelde oder Düppel, um „sich die Strafvollstreckung im fortschrittlich ausgerichteten Berliner Strafvollzug zu ermöglichen“.

Wie riskant ist der offene Vollzug?

Zum Ausbrechen verleitet er offenbar nicht, denn bei Missbrauch werden die Lockerungen gestrichen. Betrunken von der Arbeit ins Gefängnis zurückzukommen, ist verboten, es können Alkohol- oder Drogentests verlangt werden. 2012 lag die Flucht- und Missbrauchsquote bei 0,06 Prozent. Etwa 100 000 tägliche Ausgänge gab es, in nur etwa 60 Fällen kehrten die Gefangenen nicht freiwillig, unpünktlich oder nicht nüchtern zurück. In den letzten 20 Jahren hat nur der Fall Andreas R. viele Schlagzeilen gemacht. Das Mitglied der berühmten Schlapphutbande hatte die ersten Banküberfälle 2002 als Freigänger aus Düppel verübt.

Kann man das überhaupt Haft nennen? 

Ja. Zwar gibt es in der neuen JVA Düppel keine Gitter vor den Zellen und um die Gebäude nur einen einfachen Stahlgitterzaun. Und jeder Insasse besitzt die Schlüssel zu seinem Haftraum, die er beim Verlassen der Anstalt in einem Schließfach an der durchgehend besetzten Pforte einschließt. Sonst aber ist der Tagesablauf strikt reglementiert, jeder Besitz muss genehmigt werden. Haftraumkontrollen gehören auch im offenen Vollzug zum Standard. Jeder Insasse hat Anspruch auf mindestens eine Stunde Besuchszeit im Monat. Anstaltskleidung gibt es, anders als in Bayern, schon lange nicht mehr.

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