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Trauer auf Stufen. An der Gedächtniskirche erinnern Kerzen und Blumen an die Opfer. Aus dem Provisorium soll eine Dauergedenkstätte werden.

© Jörg Carstensen/dpa

Update

Nach Terroranschlag in Berlin: Charité bedauert Gebührenbescheide für Opfer-Angehörige

Drei Tage nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz verschickte die Rechtsmedizin Rechnungen für die Untersuchung der Toten. Michael Müller kondolierte erst jetzt - bewusst spät.

Es hat gedauert. Knapp zwei Monate nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche hat jetzt der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) Kondolenzschreiben an die Angehörigen der zwölf Todesopfer und an die rund 50 Verletzten verschickt. Nach Tagesspiegel-Informationen liegen immer noch elf Verletzte im Krankenhaus, zwei von ihnen mit sehr schweren Verletzungen. Die Gerichtsmedizin der Charité war, wie berichtet, schneller als Müller: Die Rechnungen für die Untersuchung der Toten wurden bereits drei Tage nach dem Anschlag verschickt. Irrtümlich, wie es jetzt im Institut heißt.

Es sei zum Teil schwierig gewesen, die Adressaten der Schreiben zu ermitteln, begründete Senatssprecherin Claudia Sünder den langen Abstand zwischen dem Attentat am 19. Dezember und dem Verschicken der Kondolenzschreiben im Februar. Müller habe zwar darauf gedrängt, schnell zu reagieren, doch vorliegende Listen mit Angaben zu Kontaktpersonen seien zum Teil unvollständig gewesen. Man habe die Schreiben aber zeitgleich verschicken wollen. Zudem sei die Freigabe der Daten durch den Generalbundesanwalt erst spät erfolgt.

Kostenpunkt: 51 Euro

Im Brief an die Verletzten hat Müller nun geschrieben, er habe nach dem schrecklichen Anschlag „bewusst etwas Zeit vergehen lassen“, bis er sich mit einem persönlichen Brief an die Angehörigen und Verletzten wende.

In den letzten Wochen hätten ihn aus der ganzen Welt Gesten der Anteilnahme erreicht, die er nun weitergeben wolle. „Sie gelten ganz besonders Ihnen und den anderen Opfern des Anschlags“, schrieb Müller. Zum Schluss bietet er an, dass sich die Betroffenen jederzeit an ihn wenden können.

Keine Zeit verloren hat dagegen die Gerichtsmedizin. Mit Datum vom 22. Dezember verschickte sie die standardisierte Rechnung für die „Untersuchung eines Toten (unbekannt) einschließlich Feststellung des Todes und Ausstellung eines Leichenschauscheins“. Die Forderung: 51 Euro. Die Anschriften der Angehörigen der Todesopfer waren einfacher zu ermitteln als diejenigen der Verletzten, die in verschiedenen Krankenhäusern lagen, heißt es.

Eine überforderte Rechtsmedizin

Besonders bitter für die Angehörigen war, dass sie zum Teil die Rechnung noch vor den Weihnachtstagen erhalten hatten. Und dann mussten sie noch eine Drohung lesen – fett gedruckt: „Die Zahlung ist sofort fällig. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, dass Sie 30 Tage nach Zugang dieser Rechnung gemäß § 286 Abs. 3 BGB automatisch in Verzug geraten und wir den Vorgang an ein Inkassounternehmen übergeben.“ Unterschrieben vom Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Michael Tsokos.

Drei Wochen später nahm er das zurück und schrieb einen neuen Brief: „Wir möchten uns hiermit ausdrücklich bei Ihnen entschuldigen, dass Sie eine Rechnung für den Leichenschauschein erhalten haben, und wir bitten Sie, diese als gegenstandslos zu betrachten. Selbstverständlich müssen Sie diese Rechnung nicht bezahlen. Es handelt sich hierbei um ein bedauerliches administratives Versehen, das dem Ausnahmezustand nach dem fürchterlichen Anschlag hier in der Rechtsmedizin geschuldet ist und so nicht hätte passieren dürfen.“

Das Berliner Bestattungsgesetz ist schuld

Dem Tagesspiegel sagte Tsokos am Montag, er habe seine Mitarbeiter nach den Leichenschauen angewiesen, keine Rechnungen zu schreiben. Im Drunter und Drüber der Ausnahmetage, an denen es zudem kurz vor Weihnachten nur wenige Mitarbeiter gegeben habe, sei dies leider untergegangen.

Nach dem Berliner Bestattungsgesetz müssten die Angehörigen die Kosten der Leichenschau übernehmen. Ausnahmen lasse das Gesetz nicht zu. Auch nicht bei ermordeten Kindern. Dass die Rechnungen so schnell verschickt worden waren, begründete Tsokos mit der hohen Zahl der Leichenschauen. Rund 2000 seien es im Jahr. Und da könne man den Rechnungen nicht hinterherlaufen. Deshalb gebe es auch den Hinweis auf das Inkassounternehmen. Trotzdem werde nur die Hälfte der Rechnungen bezahlt.

Angehörige in Bellevue

Das gut durchorganisierte Deutschland sei administrativ auf solche Fälle wie den Anschlag vom Breitscheidplatz nicht eingestellt, sagte Tsokos weiter. Auch Senatssprecherin Sünder sieht hier Schwächen und kündigte gegenüber dem Tagesspiegel Strukturreformen an.

Bundespräsident Joachim Gauck hatte, wie berichtet, am Freitag rund 50 Angehörige der Opfer ins Schloss Bellevue eingeladen. Um mit ihnen zu reden und damit sie sich auch untereinander aussprechen konnten. Gauck nahm sich vier Stunden Zeit, obwohl er stark erkältet war. Am Montag sagte er seine Termine ab.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels war von "Obduktionen" die Rede, die den Angehörigen in Rechnung gestellt wurden. Tatsächlich handelte es sich aber um die Kosten für die Leichenschauen. Das ist die Untersuchung, bei der der Tod festgestellt wird. Obduktionen, die von der Staatsanwaltschaft angeordnet werden, würden Angehörigen grundsätzlich nicht in Rechnung gestellt, sagte Rechtsmediziner Michael Tsokos. Alle Todesopfer des Anschlags seien nach der Leichenschau auch obduziert worden.

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