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Chantal Bartoli (1953 - 2013)

© Privat

Nachruf auf Chantal Bartoli (Geb. 1953): Das Erreichte ist nie das Gewollte

Natürlich ist es logisch, eine Stellung zu räumen, wenn der Kampf verloren scheint. Aber diese Frau gab nie einen Kampf verloren. Eher flogen Töpfe und Pfannen durch die Gegend. Der Nachruf auf eine, die dem Schicksal trotzte.

Eigentlich der Stoff, aus dem die Träume sind. Und die Dramen. Ein französischer Offizier verliebt sich in eine schöne Vietnamesin aus gutem Hause. Die Eltern missbilligen die Beziehung, die Frau heiratet den Mann dennoch, bricht mit ihrer Familie, verlässt Hanoi, folgt ihm nach Marokko und später nach Berlin. Was für eine Dummheit, wird mancher murmeln, was für eine Liebe, seufzen die anderen. Die Frau brachte drei Kinder zur Welt, liebte den Mann und litt unter ihm, denn er war untreu und aufbrausend. Ob sie glücklich wurde an seiner Seite? Sie starb zu früh, als dass sie ihrer Tochter die Frage hätte beantworten können. Chantal umsorgte ihre Mutter in den letzten Wochen ihres Lebens. Nur sie durfte sie anfassen, nur sie durfte ihr die Schmerzspritzen setzen. Damals war Chantal 15. Sie musste früh Verantwortung übernehmen. Es galt, ihre Geschwister vor den Wutausbrüchen des Vaters zu beschützen, es galt, die Familie zusammenzuhalten.

Ihr Vater missbilligte ihre erste Liebe, also zog sie aus und suchte ein neues Zuhause in einer Wohngemeinschaft. Der Vater ging nach Frankreich zurück. Nach vielen Jahren der Entfremdung besuchte sie ihn im Alter gelegentlich in den Sommerferien. Als er starb, weinte sie zwei Wochen um ihn.

Chantal begann ein Studium und brach es ab. Die einzige Inkonsequenz, die sie sich in ihrem Leben gestattete. Sie suchte sich einen Job in der Gastronomie, servierte im Restaurant „Le Boubou“, am Kurfürstendamm. Das Personal arbeitete in Jeans und T-Shirt, die Atmosphäre war leger, intime Tische, französisches Flair. Die Gäste drängten sich, die Prominenz auch. Chantal verliebte sich in den Koch, gemeinsam beschlossen sie, sich mit dem Bistro „Apropos“ in Kreuzberg selbstständig zu machen, er die Küche, sie den Service. Sie gebar zwei Söhne. Für die Kinder war das Café großartig, eine riesige Spielfläche, aber der Umsatz reichte nicht. Das Geschäft ging in die Brüche, die Beziehung auch.

„Seit ich Chantal kenne, weiß ich, warum die Amerikaner in Vietnam verloren haben“, scherzte der Mann, der auf den Vater der Kinder folgte und zehn Jahre an ihrer Seite blieb.

Mit Logik war bei ihr nichts auszurichten. Das war westliches Denken. Natürlich ist es logisch, eine Stellung zu räumen, wenn der Kampf verloren scheint, das gilt im Gespräch wie im Krieg. Aber Chantal gab nie einen Kampf verloren, sie beharrte auf ihrer Position, bis der andere die seine genervt räumte. Da flogen zuweilen Töpfe, Pfannen und andere Haushaltsgeräte.

Warum er dennoch bei ihr blieb? Weil Chantal die loyalste und aufopferungsvollste Gefährtin war, die man sich denken konnte, und weil sie so gut roch. Und weil sie ihren Freunden gegenüber immer unglaublich hilfsbereit war.

Sie mochte Bilder, die man ihr geschenkt hatte, die konnten noch so hässlich sein, sie hängte sie dennoch auf, aus Dankbarkeit. Sie mochte gern scrabbeln, nächtelang, mit Wörterbüchern und Lexika bewehrt.

Sie mochte Intelligenz bei Männern, Intelligenz, die sich auszahlte. Sie mochte gern große, repräsentative Autos. Auch wenn sie ihn gelegentlich anschieben musste, war ihr der große Volvo doch um vieles lieber als der nützliche Opel.

Sie hasste es, dass ihr die Stadt so wenig berufliche Chancen bot. Sie hat immer versucht, auf eigenen Füßen zu stehen, wollte unbedingt einen Job, der zu ihr passte. Sekretärin, Buchhaltung, Verwaltung. Sie ließ nichts unversucht, lernte mit unglaublichem Ehrgeiz, hortete Kisten voll mit Karteikarten zu allen Wissensgebieten. Hundert Bewerbungen schrieb sie, ließ sich von Absagen nicht entmutigen.

Die anderen, die arbeiten nicht hart genug für ihre Träume, aber sie, sie verfolgte unbeirrt das Ziel, ihre Familie zu einer erfolgreichen zu machen. Der Erstgeborene sollte auf das französische Gymnasium, der zweite Sohn, der etwas ruhigere Typ, durfte es hingegen langsamer angehen lassen. Sie war ehrgeizig, ehrgeizig für ihre Kinder und für sich, was sie in den Augen der anderen oft angestrengt wirken ließ. In der Kreuzberger Perspektive ist Ambition keine Tugend, sondern ein Fremdwort aus dem Französischen.

Chantal konnte wunderbar kochen, veranstaltete große Festmahle, akkurat organisiert, wenn 13 Freunde anwesend waren, gab es 13 Gänge. Aber wer der Küche half, war Sklave des Abends, und wehe, wenn er nicht zum Gelingen beitrug!

Das Erreichte ist niemals das Gewollte, das machte ihr das Leben zuweilen schwerer als nötig. Im Urlaub gab es keine Entspannung, sondern einen Parcour an Sehenswürdigkeiten.

Nach Vietnam reiste sie nur einmal. Im Alter hätte sie gern dort gewohnt. Ein Haus in den Bergen, vielleicht hätte sie den Traum wahr werden lassen. Denn sie war stur. In vielem. Sie ist nie zu einer Vorsorgeuntersuchung gegangen aus Angst, sie könnte wie ihre Mutter früh an Krebs sterben. Als dann eine jahrelang nicht erkannte Hepatitis ihre Leber angegriffen hatte, war es zu spät.

Sechs Monate blieben ihr. Sie zeigte ihr Leid nicht, noch in den letzten Stunden ließ sie sich die Haare richten. Dem Schicksal trotzen. Gemeinsam mit ihrem Vater umsorgten die Söhne sie im Krankenhaus. An den Männern hatte Chantal immer etwas grundsätzlich auszusetzen, an ihren Söhnen nie, die liebte sie vorbehaltlos. Was ihr den Abschied leichter machte. Denn wie ein Mensch wirklich war, und was er eigentlich wollte, zeigt sich oft erst an seinen Kindern.

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