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Claus-Dieter Steyer (1956-2015). Das letzte Foto, das er nachhause geschickt hat.

© privat

Nachruf auf Claus-Dieter Steyer (Geb. 1956): Der Eigenbrötler

Er war ein freundlicher Gegenentwurf zu den Alphamännern des Journalismus - aber so selbstbestimmt wie kaum einer von denen.

Von David Ensikat

Selbstverständlich ist er alleine losgefahren. Erstens gab es niemanden, der diese Touren mitmachen wollte. Man kam ja gar nicht hinterher. Zweitens hätte jemand, der gewollt hätte, womöglich seine eigenen Vorstellungen eingebracht. Später losfahren. Pause machen, wenn keine Pause im Plan steht. Wie soll man da vernünftig planen?

Claus-Dieters Mutter hatte Einwände: Kann man einen Knaben von zehn allein auf Radtour lassen? Man muss. Claus-Dieter mochte klein von Wuchs und freundlich im Auftreten gewesen sein; er war aber auch von einer unwiderstehlichen Beharrlichkeit. Seiner Mutter blieb nichts übrig, als dem Jungen einen Zettel mitzugeben, auf dem seine Adresse stand.

Sie tröstete sich: Der Junge war zuverlässig und stets gewillt, über seine Touren Zeugnis abzulegen. Er hatte das von seinem Vater gelernt, der früher Schriftsetzer gewesen war und jener von seinem Vater, einem Korrekturleser: Wer eine Reise tut, führt Reisetagebuch. Da gehören Fahrkarten rein und Ansichtskarten, gern auch Fahrpläne und in Schönschrift die Erlebnisse.

Ein so neugieriger, sorgfältiger Kerl – was sollte der anderes werden als Journalist? Er heuerte bei der „Freien Presse“ an, was ein lustiger Name für eine DDR- Zeitung sein mag, entscheidend war, dass sie in Freiberg, Bezirk Karl-Marx-Stadt, wo Claus-Dieter aufwuchs, eine Jugendredaktion betrieb.

Nach Abitur und Wehrdienst an der Grenze – auch hierüber führte er gewissenhaft Buch, ohne darin Staatsgeheimnisse zu verraten – studierte er in Leipzig Journalismus und kam 1981 nach Berlin. Das war schön, weil es nicht Freiberg war. Weniger schön war, dass Claus-Dieters Einsatzgebiet die Auslandsberichterstattung sein sollte, und zwar recht DDR-typisch: vom Schreibtisch aus.

Er hätte so gern über Sport berichtet, jetzt saß er bei ADN und musste im Dreischichtsystem Nachrichten so umformulieren, dass sie ins Raster passten. Die geltende Losung leuchtete nicht von den Wänden, prangte aber in allen Köpfen: Was der DDR nützt, schreiben wir. Unnützes wird beschwiegen. Über Nutz und Unnutz entschied die Partei, der Claus Dieter, das verstand sich in dem Beruf von selbst, angehörte, was nicht bedeutete, dass er irgendwas entschied.

Was sich auch von selbst verstand: Er setzte alles daran, herauszukommen. So arbeitete er neben dem öden Agenturdienst als Reiseleiter. Die Sowjetunion war groß genug für seinen Entdeckerdrang. Zurück in Berlin legte er in Dia-Vorträgen im Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft Zeugnis ab. Ein paar Monate vorm Mauerfall ließen sie ihn noch mal ganz weit weg: zu den Weltfestspielen in Nordkorea. Er bekam einen grauen Anzug und eine graue Umhängetasche, was er alles gerne trug, wenn er nur reisen durfte.

Als dann all jene jubelten, die vorher nie herausgekommen waren, im November ’89, jubelte Claus-Dieter selbstverständlich mit. Endlich ging’s auch in die andere Richtung! Dass mit dem bevorstehenden Ende der DDR auch sein Job auf dem Spiel stand, war ihm klar. Aber was sollte er mit diesem Job?

Er meldete sich in West-Berlin beim Tagesspiegel. Und war der erste Ostler, der hier anheuerte. Seit Mai 1990 war der Mann, der noch im Hohenschönhausener Plattenbau wohnte, Redakteur an der Potsdamer Straße. Und verdiente Westgeld nach Westtarif, zwei Monate bevor das Westgeld in den Osten kam.

Berichte aus der "Steyermark"

Ein Glückskerl? Ganz bestimmt. Nur durfte er wieder nicht über den Sport berichten. Sie setzten ihn auch hier, im freien Westen, an den Schreibtisch. Die Dienste in der Redaktion, Konferenzen, Layout-Vorgaben, das war überhaupt nicht seins. Deutliche Worte der Beschwerde aber auch nicht. Es dauerte sechs Jahre, er musste ein paar höfliche Briefe an die Chefredaktion schreiben, bis sie einsahen, dass der Redakteur Steyer ein Reporter war, einer, den man für eine Geschichte losschickte und der mit drei Geschichten wiederkam. Begeistert berichtete er von da, wo die wenigsten Kollegen hinwollten: aus Brandenburg.

Er schrieb die Brandenburg-Seiten nicht selten ganz alleine voll, sodass das Land redaktionsintern fortan als „Steyermark“ galt. Er raste umher, schrieb im Auto mit dem Laptop auf dem Schoß und zu Hause in seiner Arbeitskammer, und was er am nächsten Tag vorhatte, wusste er allein.

Der Familie ging es wie der Redaktion wie damals seinen Eltern: auf Claus-Dieter konnte man sich verlassen – man musste ihn nur seiner Wege ziehen lassen. Ein unglaublich arbeitsamer Eigenbrötler. Ein kleiner Mann, der vor den Interviewpartnern auf Zehenspitzen stand, seine Fragen in höflichem Restsächsisch stellte und Kritik eher zwischen den Zeilen formulierte. Ein Gegenentwurf zu den Alphamännern des Hauptstadtjournalismus – aber so selbstbestimmt wie kaum einer von denen.

Seit ein paar Jahren unternahm er mit ein paar anderen Fahrradverrückten in eng anliegender Radlerkluft Sommertouren in die Berge. Er trainierte das ganze Jahr dafür und protokollierte per Handy-App jede Fahrt.

Dieses Jahr ging es in die Dolomiten. Am Nachmittag des 31. August schickte er eine Nachricht an die Familie: „Alles Prima”. Dabei ein Foto, Claus-Dieter, strahlend vor einem Bergmassiv. Dann machte er sich allein auf, um eine Bergfestung aus der Nähe zu fotografieren. Auf dem Weg dorthin stürzte er einen steilen Hang herab. Laut Handy war er in diesem Jahr 6959 Kilometer auf dem Fahrrad unterwegs gewesen.

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