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Manfred Bethke (1928 - 2013)

© Privat

Nachruf auf Manfred Bethke (Geb. 1928): Das Flugzeug ist hin, er nicht

Beim Himmelfahrtskommando in den Bombennächten, an der Front, in der Gefangenschaft – er überlebt. Sein Sinnspruch: „Was nützen dir all deine Gaben, Glück musste haben.“

Postschaffner, Postoberschaffner, Posthauptschaffner, Postbetriebsassistent, Postpensionär. Das wäre der Lebenslauf, soweit er die Laufbahn des Postbeamten Manfred Bethke betrifft. Aus diesem Lebensabschnitt, dem mit Abstand längstem, sind sehr würdevoll gestaltete Ehren- und Ernennungsurkunden überliefert. Außerdem eine Briefmarkensammlung zur Postgeschichte, die allerdings zu größeren Teilen inzwischen an interessierte Kreise weitergegeben wurde. Der Sohn, auch diesem Abschnitt zuzuordnen, interessierte sich leider nicht für die Briefmarken. Er sammelt Schreibmaschinen.

Die vielen schönen Jahre mit Familie, einer kleinen Wohnung und einem festen Beamtensold machen das Lebensglück des Manfred Bethke ebenso aus wie die wenigen davor, die sich eher wie ein Stoff für das Kino lesen lassen. Das spätere Leben ist ohne das frühere nicht zu begreifen. Manfred Bethke gehört zu den Davongekommenen des Zweiten Weltkriegs. Sein Sinnspruch: „Was nützen dir all deine Gaben, Glück musste haben.“

Fangen wir ganz vorn an: Geboren wird er im Krankenhaus Neukölln, der Vater kümmert sich nicht, die Mutter hat Geldsorgen, die Wohnung ist ohnehin zu klein, also wird Manfred mit vier Jahren zu den Großeltern gegeben. Nachts teilt er sich mit Opa ein Zimmer, aber das ist nicht weiter schlimm. Opa ist nett und hat Zeit.

Als die Bomber immer öfter Berlin erreichen, wird Manfred nach Ostpreußen geschickt. Er hilft bei der Ernte, gerät mit einem Fuß in die Mähmaschine und hat Glück: Der Fuß verheilt, nur ein leichtes Hinken bleibt.

Zurück in Berlin beginnt Manfred eine Lehre als Lampenbauer, doch gebraucht werden Jungs, die man auf die Dachböden schicken kann, damit sie Phosphorbrände löschen. Arbeiterjungs bevorzugt, sind schließlich nur Kommunistengesocks. Manfred muss nachts im verlausten Bett der Polizeiwache schlafen, damit er bei Alarm gleich losgeschickt werden kann in sein Brandwachenrevier. Angst haben die Jungs nicht, es ist eher wie ein Abenteuer. Nur das verlauste Bett stört.

Manfred Bethke, 1945. Die Zeichnung ist in der französischen Kriegsgefangenschaft entstanden.

© Privat

Eines schönen Bombennachmittags stehen sie in der Emser Straße, Manfred und seine Freunde, qualmen ihre Zigaretten und schauen zu, wie die Granaten vom Himmel trudeln. Eine Sprengbombe fällt ins Haus gegenüber, die Druckwelle erfasst die Jungs, reißt sie durch eine Einfahrt. Im Hinterhof finden sie sich wieder, unter Schutt und Staub. Ein Freund wird schwer verletzt, Manfred hat Glück.

Im Spätsommer 1944, Manfred ist noch keine 16, soll er in den Krieg ziehen, freiwilllig. Er will aber nicht, möchte erstmal seine Lehre beenden. Da brüllt ihn der Feldwebel an, ob er ein Volksschädling sei. Manfred bricht in Tränen aus und unterschreibt.

Er kommt zur Wehrertüchtigung nach Tschechien, anschließend zur Pilotenausbildung nach Frankfurt / Oder. Als Manfred mit einem Segelflieger abhebt, kommt eine scharfe Böe von der Seite und bringt das Gerät zum Absturz. Der Flieger ist hin, Manfred nicht.

Die Luftwaffe will ihn nun nicht mehr, er kommt zur Infanterie. Die Amerikaner haben den Rhein überquert, nun soll Manfred sie an der Werra stoppen. Nachts schläft er unter Brücken, neben sich Panzerfaust und Karabiner. Als er eines Morgens aufwacht, steht ein riesiger GI vor ihm, knallt ihm eine und nimmt seine Uhr. Nun beginnt die Gefangenschaft.

Und zwar mit einem grausamen Erlebnis: Der Fahrer des Gefangenentransports steuert in hohem Tempo so dicht an die Straßenbäume, dass Männern, die am Rand stehen, die Köpfe abgeschlagen werden. Manfred steht in der Mitte.

Es geht weiter in offenen Waggons nach Südfrankreich. Auf den Brücken stehen Franzosen und pinkeln den Deutschen auf die Köpfe. Im Lager bei Perpignan gibt es Brot, Wassersuppe und Seuchen. Manfred bleibt trotzdem gesund.

Nach ein paar Wochen kommt er zu einem französischen Offizier, er soll im Garten arbeiten. Der Offizier ist aus deutscher Gefangenschaft in Ostpreußen geflohen und hat sich bis Perpignan durchgeschlagen, auch mit Hilfe einiger Deutscher. Nun kann er sich revanchieren. Manfred bekommt richtiges Essen, wird wieder aufgepäppelt. Der Offizier legt den Grundstein für eine lebenslange Zuneigung zum Kriegsgegner und Erbfeind.

Manfred erhält einen Freigängerschein, darf in der Hafenstadt Sete in einer Hotelküche arbeiten, Kino und Theater besuchen. Madame Bosco, eine Italienerin, wäscht ihm die Sachen. Mit ihr freundet er sich an, für viele Franzosen bleibt er weiterhin der böse Deutsche.

Nach drei Jahren wird er offiziell aus der Gefangenschaft entlassen, er will zurück nach Berlin, doch die Stadt erlebt gerade die Blockade. Manfred bleibt noch ein Jahr länger im Hotel.

Dann kehrt er heim, aber sein Lehrbetrieb existiert nicht mehr. Die geliebten Großeltern sind tot, verhungert, erzählen ihm die Nachbarn. Manfred findet keinen Trost in der zerstörten Stadt. Er kehrt zurück nach Sete.

Noch ein Jahr im Hotel, dann geht er wieder nach Berlin. Warum bleibt er nicht in Sete? Wird er dort nur geduldet? Sein Sohn weiß es nicht.

Er arbeitet als Helfer auf dem Bau, dann in einer Kiesgrube, lernt eine Frau kennen und geht zur Post. Ein sicherer Platz für einen Mann, der nicht länger abhängig sein will von glücklichen Fügungen. Hätte ja auch anders ausgehen können.

Nach 22 Jahren als Postpensionär und Großvater stirbt Manfred Bethke an Herzversagen.

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