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Angela Bühring (1950-2014)

© privat

Nachruf auf Angela Bühring (Geb. 1950): Geben statt Reden

Eine Frauen-WG war Anfang der Siebziger Angela Bührings erste Adresse in Berlin. Sie jobbte, studierte und baute dann ihre eigene Tischlerei auf, wo sie 1986 ihre spätere Frau Martina kennen lernte.

Von Julia Prosinger

Wenn sie eine Ferienwohnung betritt, ein Hotelzimmer, selbst wenn sie ein Krankenhausbett belegt, verrückt sie die Möbel, dekoriert die Wände. Hinterlässt Spuren. Aus ein paar ausgerissenen Zeitschriftenseiten wird schnell eine Collage. Jeder Ort soll ein Zuhause sein. Für sich und für andere. Das hat sie als Kind vermisst.

Angela Bühring wird 1950 in einer schwäbischen Kleinstadt als uneheliches Kind geboren. Ein Jahr lebt sie im Heim. Spielt viel allein. Wünscht sich so sehr Geschwister, sucht die Nähe anderer Kinder. Der Vater, ein italienischer Kunstmaler, verbringt den Tag im Atelier. Die Mutter führt eine Apotheke. Abends stellt Angela ihr die Pantoffeln bereit.

Der Vater stirbt, da ist sie 18. Sie hat inzwischen gelernt, sich selbst eine Familie zu schaffen. Einen Hamster wird sie in der Hosentasche tragen, Katzen umsorgen, Schildkröten nach der Großmutter benennen, Else eins bis zehn, und jeden Abend ihrem Terriermischling Charlie vom Tag erzählen.

Sie trägt die lila Latzhose, sprüht das Frauenzeichen an die Wand

Zunächst aber zieht Angela Bühring Anfang der siebziger Jahre nach Berlin. In eine Frauen-WG: Sie trägt die lila Latzhose, sprüht das Frauenzeichen an die Wand. Jobbt in einer Apotheke, studiert Landschaftsplanung, arbeitet bei einer Frauentischlerei, die sie in ein professionelles Unternehmen umwandelt.

In der Tischlerei lernt sie 1986 Martina kennen. 2011 lassen sich die beiden in der Gedächtniskirche trauen und in Erinnerung an Angelas jüdische Vorfahren ein zweites Mal von einer Rabbinerin in den USA. Kaum ein Tag, an dem Angela Bühring sich die Fotos dieses Glücks nicht ansieht. Sie mit Hut und Schleier, elegant wie Audrey Hepburn. Bella figura, wie der schöne Vater.

Die Disziplin hat ihr die Mutter vorgelebt. Während der Ausbildung zur Tischlermeisterin ist ihr keine Antwort präzise genug: Wo kommt der Begriff Olive für Fenstergriffe her?

In der Großen Hamburger Straße baut sie die zweite eigene Tischlerei auf. Harrt aus, bis ein Investor sie verjagt. WT-Energie, Wichtigtuerenergie hat der, sagt Bühring. Sie erfindet gern Worte.

Als der Investor gewinnt und Angela Bühring Krebs bekommt, begreift sie den Umzug als Vertreibung. Und macht in Prenzlauer Berg ihren dritten Betrieb auf. Den führt sie wie eine Apotheke, Fächer für die Schrauben, Ordner für die Quittungen. 70 Stunden hat ihre Woche. Sind Freunde zu Besuch, steht sie unvermittelt von der Kaffeetafel auf, steigt hinauf in ihr Büro und vergisst die Zeit. Von Kundenbesuchen, Baustellen und Schreibtischarbeit kehrt sie selten vor Mitternacht zurück.

Angela Bührings Betrieb restauriert Jugendstilvillen

„Ich werde jetzt ungehalten“, sagt sie oft. Wenn die Zulieferer spät dran sind oder jemand sie täuschen will, kann sie heftig werden. Oft ist sie die einzige Frau auf dem Bau, das prägt. Chefin, sagen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Tischlerei. Das hört Angela Bühring gern.

Sie restaurieren Jugendstilvillen, entwerfen für das Berliner Schloss ein barockes Musterfenster aus Eichenholz, bauen einen Waschtisch aus Raucheiche, einen Notenschrank aus Kirschholz.

Angela Bühring macht nicht nur jeden Raum zum Wohnzimmer. Jedes Meeting gestaltet sie wie die Tafel einer italienischen Großfamilie. Manchmal hilft Geben mehr als Reden. Zu schwierigen Vorstandssitzungen der Zeitschrift „Restaurator im Handwerk“ bringt sie Berliner Bären aus Schokolade mit, holt Fladenbrot und Antipasti. Hätte sie damit nur erreicht, dass die Zeitschrift auch Restauratorinnen im Titel einschließt!

Sie macht gern Geschenke, schreibt hunderte von Karten

An Weihnachten verschickt Angela Bühring mehr als hundert Karten und Pakete, bettet geschnitzte Vögel von einem Bildhauer auf blaues Tuch und legt Kirschholzschalen einer Drechslerin in schöne Schachteln. Und Ostern erst. Da kann man nicht nur schenken, sondern auch suchen und finden. Geburtstage, Namenstage, Halloween. Kommt jemand spontan vorbei, ist immer eine Auswahl ausgesuchter Freuden vorhanden. Dazu Papier, Schleifen und Tüten.

Kurz bevor sie stirbt, fragt Angela Bühring die Freundinnen und Freunde nach deren Weihnachtswunsch. Ihrer Frau hinterlässt sie eine Liste. Geschenke für meine Lieben.

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