zum Hauptinhalt

Berlin: Georg Rzepka (Geb. 1948)

Er gründet den "Heavybeat-Club", die Mädchen drehen sich in knappen Röcken

Er ist der Erste, oft und in vielem. Die einen freuen sich darüber, den anderen treibt es zur Weißglut. Die, denen es gefällt, sind die Geschwister. Denn Georg ist ihr Wegbereiter: Er lässt sich die Haare vor ihnen lang wachsen. Schüttelt seine Mähne zuerst zu dieser neuen trotzigen Musik. Lässt sich früher als die anderen nicht mehr vom Vater herumkommandieren. Der ist ans Kommandieren gewöhnt, spätestens seit 1939, als er zur SS ging. Da davon nichts mehr übrig ist, wendet er sich seinen Kindern zu. Georg, sein ältester Sohn, verkörpert die fehlende Zucht, die Unordnung, die losen Sitten.

Während der Vater, wenn er zu viel getrunken hat, die alten Lieder anstimmt, will der jüngere Bruder Heinz von Georg wissen, wie man das anstellt, ein Mädchen küssen. Georg erzählt es ihm, und dann legen sie die „Sounds of Silence“ auf und singen mit Simon und Garfunkel die ganze Nacht hindurch. Der Vater brüllt: „Wenn du nicht machst, was ich will, kommst du ins Erziehungsheim!“ Die sanfte Mutter steht daneben.

Die Drohung schüchtert Georg nicht ein, also muss er weg, mit 14, fort aus Setterich bei Aachen, in das „Haus Fichtenhain“, eine Lehrlingsanstalt in Krefeld, wo er zum Elektriker ausgebildet wird. Über die dortigen Erziehungsmethoden erzählt er seinen sieben Geschwistern nichts.

Trotz des Vaters mag Georg seine Heimat, die Arbeitersiedlung, die schmalen Häuser, die Männer, die in der Zeche malochen. Er mag sein Messdienergewand und den Geruch von Weihrauch, die Fußballspiele auf der Dorfwiese und die Ausflüge in die große Stadt, nach Aachen. Er hört jetzt „Deep Purple“, „AC/DC“ und „Lynyrd Skynyrd“.

Und er muss zum Bund. Wieder Gebrülle: „Steh’nse gerade!“ „Mensch, Rzepka, reißense sich zusammen!“ Georg steht nie ganz aufrecht, dreht sich auch mal nach links statt nach rechts, marschiert ein bisschen nachlässig, alles Kleinigkeiten. Aber es hagelt eine Disziplinarstrafe nach der anderen. Bis die 18 Monate endlich vorbei sind und das freie Leben beginnt: Autos, Musik, Mädchen. Er gründet den „Heavybeat-Club“, legt Platten in Kneipen auf, die Mädchen drehen sich in ihren knappen Röcken, und von einer kann er hinter seiner Anlage die Augen nicht lassen.

Sie heiraten, ziehen in den Schwarzwald, bekommen zwei Söhne, beginnen, ein Haus zu bauen. Er ist da für seine Söhne, fährt sie zum Fußball, zum Tischtennis, besorgt ihnen die beste Ausrüstung, sitzt während der Turniere am Wochenende unter den Zuschauern, und wenn seine Stimme laut wird, dann nur vor Freude.

Der Hausbau zieht sich. Georg macht vieles selbst, verlegt den Boden, montiert Heizungsrohre, verputzt Wände, er ist handwerklich begabt, doch auf die Baustelle kann er nur am Abend, nach seiner Arbeit als Möbelspediteur und Möbelverkäufer. Vielleicht geht ihnen irgendwann die Kraft aus, bei aller Liebe. Petra verlässt ihn nach 27 Jahren.

Berlin: Kein Sehnsuchtsort für ihn. Aber man kann sich gut ablenken dort, besser als im schwäbischen Dorf. Sein Bruder Reinhard führt in der Nähe vom Schloss Charlottenburg ein Restaurant, das „Lavandevil“. Er spaziert durch den Park, läuft die breiten, lauten Straßen entlang und trinkt dann einen Kaffee bei ihm. Eine Frau kommt ab und an vorbei. Sie heißt: Petra, ein Scherz des Schicksals. Petra fragt ihn, ob er ganz nach Berlin ziehen will, um mit ihr zu leben. Er gibt alles auf, das Haus, das Dorf, den Schwarzwald. Aber es ist schwierig, Arbeit zu finden. Also hilft er im „Lavandevil“, steht hinterm Tresen, fährt zum Großmarkt, redet mit den Gästen. Georg mag dieses Leben. Bis es wieder ins Stocken gerät. 2011 stirbt sein Bruder an Krebs. Monatelang trauert Georg und zögert dann: Soll er das Restaurant weiterführen? Ein Geschäftsmann war er nie. Er denkt an die Musik, die mit ihm in die Jahre gekommen und trotzdem rau und kräftig geblieben ist. Also weiter mit dem „Lavandevil“, mit einer neuen Frau jetzt, Christine, und an manchen Abenden mit Rockmusik, live und laut.

Ende 2014 hört er das Wort wieder, diesmal gilt es ihm: Krebs. Seine Freunde, seine Söhne, sein Bruder Heinz sind bei ihm. Und als Georg versteht, dass das Kämpfen sinnlos ist, sagt er: „Ich kann nicht mehr.“

Er hat eine Karte, für den 25. Juni, „AC/DC“ im Olympiastadion. Aber er liegt im Bett. Und erinnert sich an den Herbst vor drei Jahren, als er in Miami auf die „Norwegian Pearl“, ein Kreuzfahrtschiff, stieg, zusammen mit 2300 anderen Southern-Rock-Fans und 17 Bands, als er vier Tage lang über den Ozean fuhr, und als Johnny Van Zant von „Lynyrd Skynyrd“ in die Menge rief: „We are all family!“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false