zum Hauptinhalt

Berlin: Hannelore Wüst (Geb. 1927)

Jetzt ist Schluss hieß: Jetzt geht’s los

Da bleibt den Caballeros die Spucke weg, wenn sie stolze Männer einfängt und zu Haus’ durch die Rolle dreht“, rühmte seinerzeit die Presse bei ihren Liederabenden. „Liebesperlen der Kleinkunst“, dargereicht in dieser unnachahmlichen Mixtur von „spanischem Temperament, Berliner Schnauze und französischem Esprit“, die das Publikum zu Beifallsstürmen hinriss. So war es ihr Leben lang, man konnte gar nicht anders: Wer sie erlebte, musste dem Schicksal applaudieren.

Die kleine Hannelore war eine Nachzüglerin, entsprechend froh war sie, auf der Welt zu sein, entsprechend froh waren ihre Eltern. Der Vater war Gerichtsvollzieher von der gnädigen Art. „Ich sehe nichts, ich sehe nichts“, so ging er durch die Wohnungen, was ihm die Gläubiger mit reichlichen Lebensmittelgaben dankten. So kam die Familie gut durch den Krieg. Das Elternhaus war eins der wenigen Häuser in Kiel, die nicht von Bomben zerstört wurden.

Hannelore war von Kindesbeinen an eine Diva, kränkelnd erst, lange im Sanatorium, was aber ein Glücksumstand war, denn dort beschloss sie, mehr als nur ein Leben zu führen und Schauspielerin zu werden. Sie bewarb sich an der Schauspielschule. Bernhard Minetti nahm sich ihrer an, da war sie 18. Er schulte ihre Sprechstimme und gab ihr Selbstvertrauen, und als sie nach Berlin kam, nachdem der Krieg endlich vorbei war und ihr erstes Theater pleite, da engagierte sie Bertolt Brecht. „Herr Puntila und sein Knecht Matti“, in dem Stück spielte sie mit Erwin Geschonneck und es hat gleich so schön gerappelt. Sie, jung, lebensfroh und unerfahren, er, der Kommunist, der Hitler überlebte hatte, Stalin, den Untergang der Arkona, der hungrig war, nach Erfolg und Frauen. Das Kind dieser großen Liebe wurde auf den Namen Matti getauft.

Auf dem Theater stand sie immer in der zweiten Reihe. Sie war das Irrlicht im „Faust“ und das Lieschen, sie spielte all die Rollen, die den Helden glänzen lassen. Aber sie wollte nicht die Nebenrolle im Leben ihres Mannes. Sechs turbulente Jahre, dann ging es auseinander.

Sie litt sehr, aber Männer zu finden, fiel ihr leicht. Erst verfiel ihr ein Startenor von der Oper, dann der „Beau vom Rundfunk“, so der Spitzname von Gerhard Scheumann, der ihr Herz mit etlichen Bloody Marys und Ravels „Bolero“ erweichte. Wieder so ein Mann, der gern im Rampenlicht stand, Sozialist, Dokumentarfilmer, gerühmter Autor, wie Geschonneck Träger des Nationalpreises. Wieder einer, der sie nicht teilen wollte, der nicht gerne sah, dass sie arbeitete. Aber sie ließ sich nicht kleinmachen. Sie liebten sich sehr und ihre Kinder, aber irgendwann ging es nicht mehr. Schluss, aus, ab da: kein Mann mehr im Singular. Mit 40 ließ sie sich scheiden. Sie wollte sich nichts mehr vorschreiben lassen, schon gar nicht im Beruf.

Jetzt ist Schluss, hieß: Jetzt geht’s los. Hannelore Wüst ging zum Rundfunk, arbeitete als Sprecherin, war nebenher noch in der Konzert- und Gastspieldirektion tätig, was hieß, dass sie dauernd „auf Mucke“ war. Irgendwie brachte sie das alles auf die Reihe, ohne dass die Kinder litten. „Da, wo Mutter steht, ist vorne“, und alle parierten. Sie war liebevoll und streng, was sie nicht davon abhielt, auch mal den Liebhaber mit der Tochter zu teilen. Es waren aufregende Zeiten. „Ich weiß gar nicht, wann ich da geschlafen habe.“ Sie hielt sich an Kästner: „Denkt ans fünfte Gebot, schlagt eure Zeit nicht tot!“

Burnout, das war zu der Zeit keine Diagnose, sondern eine Parole! Verbrenn dich selbst und geistere nicht als Glühwürmchen durch die Gegend.

Hannelore trällerte in der ganzen Republik die Lieder von Brecht, Tucholsky und Kästner. Von der Bühne ins Lokal und wieder auf die Bühne. Mit Gisela May wurde sie oft verglichen, was sie fuchste, sie sah sich eher als die Milva des Ostens.

Sie hatte Heimweh nach der Ferne, 1980 ging sie in den Westen. Kiel, die Heimatstadt, erkannte sie nicht wieder. Also zog sie nach Hamburg, arbeitete am St.-Pauli-Theater. Sie machte alles, Hörspiele, Werbespots, Dokumentationen, in einem Film, „Ein Engel an meiner Tafel“, synchronisierte sie gleich vier Generationen. Mehrere hundert Rollen als Sprecherin, als Schauspielerin, auf dem Theater, im Fernsehen. Das zehrt. Aber sie wusste, wo sie sich Kraft holen konnte. Sie mochte Männer, und sie mochte Buletten, sie mochte alles, was die Lebensgeister weckt und am Leben hält. Der Kühlschrank war immer voll. Sie hat gern gegessen, was ihr anzusehen war, aber im Kopf blieb sie mobil wie eh und je. Als es dann nicht mehr ging, holte ihre Tochter sie zurück nach Berlin.

Wenn sie müde war, hat sie sich gern flach gemacht auf der Couch mit der Katze auf der Brust, die hieß Muschi, was ihr beim Tierarzt immer einen guten Auftritt einbrachte, wenn die Sprechstundenhilfe rief: „Und jetzt bitte Frau Wüst mit … “

Sie ist nicht jeden Tag mit einem Grinsen aufgestanden, aber sie ist nie ohne ein Lächeln ins Bett gegangen. Sie hat ihre Kinder geliebt, ihre Männer, und vor allem ihr Leben. Dafür hat sie sich ganz und gar verausgabt. Nieren, Leber, vor allem das Herz, sie hat alles aufgebraucht, alle Lebenskräfte, und als das Leben langsam wich, da klammerte sie nicht und starb.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false