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Bernd Güldemeister

© privat

Nachruf auf Bernd Güldemeister: „Ick mach mir doch nich’ zum Affen!“

Er war einmal ein Rockstar. Ein paar Jahre hielt er das durch, dann igelte er sich ein

Von Werner Bohl

Wenn man so will, begann seine Bühnenkarriere im Kleinkindalter. Und schon der Anfang war effektvoll, damals in den frühen 50ern. Bernds Vater, Theaterinspizient und Fotograf am Berliner Ensemble, hatte ihn mit zur Arbeit genommen, wo Bertolt Brecht gerade in der Regiearbeit steckte. Der Meister unterbrach die Probe, nahm das Kind auf den Schoß – und bereute das sehr schnell. Denn Bernd, gerade der Windel entwachsen, zeigte Lampenfieber und bepinkelte Brechts Hose.

25 Jahre später, Bernd steht wieder im Mittelpunkt, auch dieser Auftrittsort ist legendär. Geblendet vom Scheinwerferlicht, beobachtet von 3000 Konzertbesuchern und fünf Fernsehkameras im Münchener Circus Krone. Er ist Sänger und Frontmann der frisch gegründeten Berliner Rockband Bleibtreu Revue. Die Deutsche Phonoakademie hat sie für ein Nachwuchsfestival ausgewählt. Es ist der erste Auftritt der Gruppe überhaupt. Über den Kopf hat sich Bernd eine selbst gebastelte Rattenmaske gezogen, passend zum Song. Er singt von Ratten, die als Einzige die Explosion eines Atomkraftwerks überleben: „Die Menschen haben gedacht / sie könnten solche Sachen machen / mit Kernkraft und schnellen Brütern / da können wir nur noch lachen!“

Der „Tip“, das Berliner Stadtmagazin, schreibt danach von einer „Hymne der Atomkraftgegner, die gen Gorleben ziehen“. Doch Bernd ist kein politischer Aktivist. Er ist Sänger in einer Rockband, er erfüllt die Songs seiner Kollegen mit Leben. Wenn er in der Rockshow der „Bleibtreu Revue“ in groteske Rollen schlüpfen kann, blüht in ihm der Entertainer auf. „Lasst uns mal ein bisschen Theater machen!“, sagt er und denkt dabei an seinen verstorbenen Vater. Der kreative Kopf der Truppe ist er nicht, er ist ihre Seele, ihr Gesicht.

Eine angeborene Bequemlichkeit

Schon in der Teenagerzeit hat er bei Schülerbands mitgemischt, die in Jugendheimen und später in Kneipen und Clubs auftraten. Es waren die wilden Jahre von Beat-Generation und 68er-Bewegung. Auf Schule hatte er wenig Bock, das galt dann auch für die Berufsausbildung. Die Lehre als Schaufensterdekorateur gab Gülde, wie ihn seine Kumpels nannten, bald auf. Er hing lieber ab, eine offenbar angeborene Bequemlichkeit. Dann, 1977, ein Wendepunkt, er wollte es noch mal wissen mit der Musik. Plötzlich energiegeladen, suchte er per Anzeigenzettel in Musikgeschäften Gleichgesinnte für eine Band. Und fand sie. Sein Erspartes investierte er in ein TEAC-Acht-Spur-Aufnahmegerät, schnell entstanden Demo-Bänder mit Eigenkompositionen der brandneuen Bleibtreu Revue.

Fehlte nur ein vernünftiger Proberaum, doch Gülde war nicht zu bremsen. Binnen kürzester Zeit präsentierte er triumphierend den Schlüssel zum besten Übungsplatz der Stadt überhaupt: ein akustisch und technisch optimal ausgestatteter Vorführraum in den brachliegenden ehemaligen Ufa-Filmstudios in Tempelhof.

Der Bezirk akzeptierte die Band als einzigen Mieter auf dem verwilderten Areal. Erst Monate später besetzten Juppis Kommunarden große Teile des Geländes, gründeten ihre „UfaKulturFabrik“ und wurden Nachbarn.

Nüscht kann mir wat anhaben!

Bernd Güldemeister

Ein Demo-Band ging an die Deutsche Phonoakademie, und die wählte die „Bleibtreu Revue“ aus 1200 Bewerbungen aus und schickte sie zum Münchener Festival-Finale.

Der Rest ist Bandgeschichte. Veranstalterlegende Fritz Rau und Udo Lindenberg sind begeistert, geben als Juroren der Band die volle Punktzahl. Von jetzt auf gleich sind Plattenfirmen, Produzenten und Manager Gülde und seinen Mitstreitern auf den Fersen. Die Plakate der Band hängen Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik und in West-Berlin, bewerben Konzerte, Tourneen und die erste Plattenproduktion. Darauf zu sehen: Bernd, den Hut tief ins Gesicht gezogen, Kippe im Mund, wie er mit verstohlenem Blick den schweren Ledermantel öffnet, im Futter stecken Polaroids der Bandmusiker. Jim Rakete hat das Foto gemacht. Man kennt sich. Rakete hat bei Güldes Vater das Fotografieren gelernt, womöglich hat er sich dort auch die typische Bildsprache abgeguckt: die starken Kontraste in Schwarzweiß.

Mit Bernd hat Rakete allerdings nicht den Prototyp eines Rockstars vor der Linse. Gülde ist altmodisch, tobt nicht mit auftoupierten Haaren und Nietengürtel, in gestreiften Röhrenjeans und großen Stiefeln über die Bühne. „Ick mach mir doch nich’ zum Affen!“ Er ist keine Rampensau, sondern ein Schauspieler und Komödiant von der eher leisen Art, er berührt sein Publikum mit einem fast magischen Charisma. Ob das genügt für eine Karriere im beinharten Musikbusiness?

Von den üblichen Szenedrogen lässt er die Finger. Sein Problem: Er schaut zu tief ins Glas. Auf Tournee hat er schon vor dem Bandfrühstück den ersten Sixpack Bier und diverse Flachmänner Jägermeister intus. Bis zum abendlichen Auftritt legt er nach, muss den Alkoholspiegel erreichen, der ihm auf der Bühne eine trügerische Sicherheit verleiht. Und dann verwechselt er schon mal die Texte, trifft die Töne nicht, stolpert über den Mikrofonständer. Eine Tragödie für alle, die ihn lieben.

Ein paar Jahre hält er durch, aber ein leuchtender Frontmann ist er immer weniger. Die Band muss handeln, die Kollegen machen ihm klar: „Das nächste Plattenprojekt läuft ohne dich.“ Für ihn ist das wie ein kleiner Tod, und er weiß, dass er allein die Schuld trägt. Doch dem Teufelskreis von mangelnder Initiative, Alkohol und schwindender Gesundheit entkommt er nicht. Er zieht sich zurück, igelt sich ein, reagiert nicht auf Angebote und Einladungen von Kumpeln, die Freundin verlässt ihn. Statt on stage sieht man ihn über die folgenden Jahre und Jahrzehnte auf Trödelmärkten, wo er vertickt, was er bei Wohnungsauflösungen auftreiben kann.

Als er über Schmerzen beim Wasserlassen klagt, versucht ein Freund ihn zur Vorsorge zu schicken und scheitert. Er kann ihn auch nicht überreden, sich endlich die Zähne machen zu lassen. Bernd blockt Hilfe und guten Rat immer wieder ab: „Nüscht kann mir wat anhaben, ick bin Popstar!“ Ende Juli stirbt Gülde an Prostatakrebs. Auf einer Bühne hat er nie mehr gestanden.

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