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Der katholische St.-Hedwigs-Friedhof, Liesenstraße 8 in Berlin-Mitte.

© Doris Spiekermann-Klaas

Berlin: Reimon Opitz (Geb. 1948)

Er sah nicht die bedrohten Arten, er sah Bokito, Djambala oder Mücke

Als am 15. September 1965 die Rolling Stones in der Waldbühne so kurz nur aufspielten, dass einige Konzertbesucher in unbändige Wut gerieten, dass Sitzbänke demoliert und Menschen verletzt wurden, war unter den Polizeikräften auch ein junger Mann, der im Angesicht dieser unerwarteten Gewaltorgie eine Entscheidung fällte. Polizist, das hatte er gelernt, und das wollte er nicht länger sein. Er war 17 Jahre alt. Er kündigte und wandte sich an den Zoo. Den hatte er immer gemocht, hatte ihn mit seinen Eltern ungezählte Male besucht. Ob man ihn brauchen könne, fragte er. Man konnte. Und so wurde einer, der die frei herumlaufenden Menschen nicht mehr zur Ordnung rufen wollte, zu einem, der die Ordnung bei den Tieren hinter Gittern aufrecht hielt. Man kann wohl sagen, dass er dort im Zoo auf selten zweifelsfreie Weise den Platz seines Lebens fand.

Reimon Opitz lernte ganz praktisch Tierpfleger: indem er Tiere pflegte. Eine Ausbildung, wie es sie heute gibt, mit Zwischenprüfung und Spezialisierung, machte er nicht, Karriere aber trotzdem. Er war Tierpfleger, Reviertierpfleger und Obertierpfleger, Chef aller 115 Tierpfleger im Berliner Zoo. Er war auch mehr als 30 Jahre lang Betriebsrat und Betriebsratsvorsitzender, hat Betriebsfußball und Weihnachtsfeiern organisiert. Doch groß gemacht, am Ende so bekannt, dass er in Badehose am Ostseestrand erkannt und um ein Autogramm gebeten wurde, hat den kleinen Mann mit dem ewigen Schnauzer etwas anderes: dass er den Menschenaffen nah kam wie keiner sonst. Er wurde der Affenvater genannt.

Mit Schimpansen ging er vor Jahrzehnten Eis essen am Kurfürstendamm, die Lokalzeitungsfotografen knipsten, die Berliner jubelten. Gorillababys, die von ihren Müttern nicht angenommen wurden, zog er mit der Hand auf, mit Nuckelflasche, Milumil, Pampers und dreifachem Sofatotalschaden in der Dienstwohnung, die über dem Gehege war. Er fuhr mit ihnen im Cabriolet an die Ostsee. Und als Gorilladame Dufte nach einer Darmoperation zurückkam ins Affenhaus, übernahm er die Nachsorge und wechselte die Verbände. Er war da furchtlos. Als wären die Affen keine Affen, wenn er bei ihnen ist, als wären sie der Vernunft zugänglich.

Opitz bewegte sich damit auf einem schmalen Grat. Schließlich hatte er es mit Vertretern stark gefährdeter und aussterbender Arten zu tun. Und die meisten europäischen Zoos arbeiten seit Jahrzehnten an Erhaltungsprogrammen. Artenschutz, nicht Tierschutz, ist die Parole, die auch an Opitz’ Ohren drang. Doch machte es nie den Eindruck, dass er in seinen Tieren Mahnmale oder Rettungsanker sah. Er sah nicht den westlichen Flachlandgorilla, bedroht durch Jagd und Waldrodung. Und auch nicht den nahezu ausgerotteten Orang-Utan, von dem in Borneo und Sumatra noch ein paar Tausend übrig sind. Opitz sah Bokito, Djambala oder Mücke. Er sah Tiere, die er von Hand aufgezogen hat. Die ihm vorbehaltlos vertrauensvoll in die Augen geguckt hatten, als sie auf seinem Arm aus der Flasche tranken, und die diesen Blick nie ablegten. „Die ersten sechs Monate sind sie wie Menschenbabys, danach werden sie zu Tieren“, sagte er. Und dass er aufpassen müsse, dass er sich nicht in die kleinen Affenbabys verliebe.

Es gab deswegen auch viel Streit. Streit mit den anderen, die sich auf andere Art um Menschenaffen kümmern. Die dieses Vermenschlichen für falsch halten. Die Opitz vorwarfen, der Arterhaltung keinen Gefallen zu tun, wenn er Zooaffen jenseits aller Wildtierkriterien aufzog. Dann saß er im Menschenaffenpflegerzimmer vor gerahmten Fotos von Affen und Opitz trommelte auf dem frühstückskrümelvollen Tisch und sagte, wer etwas zu meckern habe, der solle kommen und gucken: „Ich mache meine Arbeit gut!“

Gekommen sind aber nicht die Kritiker, gekommen sind die Kameraleute. Und geguckt hat das ganze Land. 2005 brachte der RBB die Zoosendung „Panda, Gorilla & Co.“ raus, 192 Folgen wurden gedreht. Opitz, der Erfahrung mit der Presse hatte, dachte von Anfang an wie ein Fernsehmensch. Er kümmerte sich drum, dass im Affenhaus die Scheiben geputzt waren, und dass was los war, das zu filmen sich lohnte. Mal war das der Schwangerschaftstest bei Gorillaweibchen Djambala, mal ließ er sich von Orang-Utan-Mutter Mücke ihr Neugeborenes Satu zeigen. Und er redete mit den Affen, als wäre er allein mit ihnen: „Da kommt die Mücke, ja, kommt da die Mücke?“ Und die Kameraleute waren froh. Sie haben sogar Sensationen aufgenommen: als beispielsweise Mücke Opitz fütterte. Das Orang-Weibchen hielt ihm eine Erdbeere hin, und als Opitz den Mund öffnete, wurde der lange haarige Arm immer länger und eine Hand, die Menschenschädel zerquetschen könnte, legte die rote Frucht auf die Zunge des Artfremden. So was habe er noch nie erlebt, sagte Opitz da und guckte stolz und glücklich. Denen vom Fernsehen hat er später erzählt, dass er sogar aus Amerika zu dieser Fütterung beglückwünscht worden sei.

Und in all den Jahren, in denen Opitz für die anderen da war, sich zuständig und verantwortlich fühlte, für die Affen, die Pfleger, die Zoobesucher und zuletzt die Fernsehleute, fühlte sich für ihn auch jemand zuständig. Seine Frau, die mit ihm seit 43 Jahren im Zoo lebte. Die er nach den ersten Rendezvous mit ins Affenhaus nahm. Sie beschloss, dieses seltsame Leben im Zoo mitzumachen. „Ich habe viel erlebt“, hat Reimon Opitz mal gesagt, „und alles war positiv.“ Als er vor zwei Wochen zusammensackte, Herzinfarkt, machte er die Augen nicht wieder auf.

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