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Druiden, Schamanen und Hexen auf der Straße in Berlin Wedding.

© Doris Spiekermann-Klaas

Nacht der Religionen: Stammtisch für Hexen

Barden, Druiden, Heiden – was machen die eigentlich? Am Wochenende kann man sie live erleben.

Einmal im Monat trifft sich im Hinterzimmer einer Gaststätte in Wedding der „Hexen- und Heidenstammtisch“. An diesem Abend sitzen elf Barden, Druiden, Hexen und Schamanen unterschiedlichen Alters um den langen Holztisch. Vor ihrer Brust baumeln Anhänger mit Pentakeln und Lebensbäumen, zwei tragen lange Gewänder über Jeans und T-Shirt.

Bernhard Kühn und Anke Keidel haben ein mit Runen und Lebensbaum-Ornamenten verziertes Kuhhorn mitgebracht, aus dem sie bei Ritualhandlungen Met trinken. Vor Gudrun Pannier liegt ein aus Holz geschnitzter Hammer des germanischen Donnergottes Thor auf dem Tisch.

Die paganen oder neuheidnischen Gemeinschaften zeigen sich selten in der Öffentlichkeit, aber dieses Jahr machen sie bei der Langen Nacht der Religionen mit. „Wir sind Heiden, aber das heißt nicht, dass wir an nichts glauben“, sagt Gudrun Pannier vom Verein „Pagan Federation Deutschland“.

Sie meditieren und beten zu Göttern

Im Gegenteil: Druiden, Hexen und Schamanen glauben an die germanisch-keltische Götterwelt und verehren die Natur als göttliche Quelle des Lebens. „Wenn andere in den Wald gehen, sehen sie Bäume“, sagt Alexander Lange von der Gruppe „Blotring“. „Wenn ich in den Wald gehe, spiegeln sich die Kräfte der Natur in mir. Ich erlebe Hitze und Kälte viel dramatischer und sehe das große Ganze hinter Bäumen, Pflanzen und Mäusen.“

Faye mit Trommel.
Faye mit Trommel.

© Doris Spiekermann-Klaas

Den Rhythmus der Natur feiern die neuen Heiden mit Jahreskreisfesten, dazu kommen Feste zur Geburt, Hochzeits- und Todesrituale. Sie meditieren, beten zu Göttern wie Thor, Odin, Freya und Frigg und opfern ihnen Speisen. Innerhalb der paganen Gemeinschaft gibt es eine große Vielfalt. Viele Richtungen engagieren sich ökologisch und sozial, einige sind feministisch angehaucht.

Die Magie der "großen Göttin"

Die einen lehnen hierarchische Strukturen ab, andere unterscheiden zwischen Schülern und Meistern. Alle eint der Glaube an die Wiedergeburt – ob als Mensch, Tier, Pflanze oder als Energie, lasse sich aber nicht vorhersagen und auch nicht beeinflussen.

Es gehe viel um „persönliche Heilung“, sagt die Hexe und Schamanin Faye, eine schlanke Frau mit grauen langen Haaren und durchdringendem Blick. Sie gehört zur Bewegung „Reclaiming Witchcraft“, die in den 1970er Jahren in den USA begründet wurde. „Wir alle sind durch die patriarchal geprägte Welt mehr oder weniger verletzt. Wenn diese Wunden unbehandelt bleiben, geben wir Verletzungen und Schmerz weiter“, sagt sie.

Der Glaube an die Kraft und Magie der „großen Göttin“ und die spirituelle Verbundenheit mit Mutter Erde und dem „Göttlichen in uns allen“ durch Musik, Tanz, Meditationen und Trancen verspreche Heilung. Mit den bösen Weibsbildern aus den Märchen habe das nichts zu tun, sagt Faye.

Einige zehntausend Neuheiden in Deutschland

Viele neuheidnische Bewegungen sind Ende des 19. Jahrhunderts entstanden - "in der Schnittmenge von esoterisch-okkultistischem Milieu, nationalromantischer Mythenfaszination des Bürgertums und der Lebensreformbewegung in zahlreichen Staaten Europas", schreibt der Soziologe René Gründer von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heidenheim. Sie seien somit ein "Phänomen der abendländischen Kultur, das eng mit der (national-)romantischen Reaktion bürgerlicher Schichten auf lebensweltliche Entfremdung durch Modernisierungsprozesse verbunden ist". Andere wie die Hexenreligion „Wicca“ und der „Orden der Barden, Ovaten und Druiden“ entwickelten sich in den 1950er Jahren, viele in Großbritannien. Seit den 1980er Jahren sei es zu einer „Überschichtung“ völkischer beziehungsweise nationalromantischer Interpretationen heidnischer Glaubensvorstellungen durch ökologisch-feministische und individualistische, liberale und explizit antifaschistische Strömungen gekommen, hat René Gründer herausgefunden.

Gründer schätzt die Zahl der Neuheiden in Deutschland auf einige Zehntausend. Zwei Drittel seien Wicca, Hexen und Keltischreligiöse, etwa ein Drittel gehöre germanisch-heidnischen Gruppierungen an. Nur ein Teil sei fest organisiert, schreibt Gründer. Nach Auskunft der Teilnehmer des Berliner Heidenstammtisches treffen sich die meisten in privaten Zirkeln von acht bis zwölf Personen. Tempel oder andere heilige Orte brauchen sie nicht.

Bianca und ihr Mann Björn.
Bianca und ihr Mann Björn.

© Doris Spiekermann-Klaas

Die Rituale können sich von Gruppe zu Gruppe unterscheiden, denn ein Kanon an überlieferten Schriften aus der Zeit der Germanen und Kelten oder gar heilige Bücher gibt es nicht. Eine wichtige Quelle ist die nordische Saga „Edda“ aus dem 13. Jahrhundert. Weil es keine Dogmen gebe, sei man besonders offen für den Dialog mit anderen Religionen, betonen die elf Heiden. „Bei einem pantheistischen Glaubenskonstrukt, wo es sowieso schon hundert Götter gibt, ist es einfacher, den hundertersten noch zu integrieren als in einem monotheistischen System“, sagt Druide Björn Wertheimer.

Niemand will wie im Mittelalter leben

In den neopaganen Strömungen sei eine kulturkonservative Grundhaltung weit verbreitet, schreibt der Soziologe René Gründer, die sich auch in zunehmender Islamophobie bemerkbar mache. Auch leiste eine "mitunter sozialdarwinistische Religionsauffassung im Sinne der heilsegoistischen Fixierung auf das Selbst und die neopagane Community (als „Heilsgemeinschaft“) jener gesellschaftlichen Grundtendenz zur Entsolidarisierung Vorschub, deren Ausdruck sie zugleich auch ist".

Dass die elf Berliner an diesem Abend immer wieder darauf hinweisen, wie tolerant und offen sie sind, hat aber noch einen anderen Grund: Sie wollen sich abgrenzen von rechts und völkisch denkenden Gruppen. Denn auch Rechtsextreme begeistern sich für die germanische Götterwelt. Viele nennen sogar ihre Kinder nach Thor, Freya oder Frigga. Nach Auskunft von René Gründer vertreten etwa ein Zehntel der neuen Heiden eine „Volks- oder Rasseromantik“. „Wir wollen zeigen, dass wir damit nichts zu tun haben“, sagt Gudrun Pannier. Auch deshalb beteiligten sich die heidnische Gemeinschaft und die Pagan Federation an der Langen Nacht der Religionen.

Björn Wertheimer und seine Frau Bianca haben als Teenager die „Nebel von Avalon“ gelesen. Andere sind über den „Herr der Ringe“ zur nordischen Götter- und Sagenwelt gekommen oder über metal-pagane Musikbands. Niemand von ihnen will aber wie im Mittelalter leben. Sie fahren Auto, arbeiten als Elektriker, Computer-Spezialisten, als Heilpraktiker oder Chemiker – „alles ganz normal“, sagt Alexander Lange. „Wir haben alte Götter, sind aber eine neue Religion.“

Sonnabend kann man von 14.30 bis 21.30 Uhr im Familienzentrum Menschenskinder, Fürstenwalder Straße. 25, Friedrichshain, an paganen Ritualen, Workshops und Vorträgen teilnehmen

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