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Berlin: Nähe über den Tod hinaus

Ein Berliner Bestattungsinstitut lässt in der Schweiz aus der Asche Verstorbener Diamanten machen – Kirchenvertreter finden das makaber

Vor mehr als 15 Jahren schworen sich Melissa P. und ihr Mann: „Bis dass der Tod uns scheidet!“ Doch als Herr P. im vergangenen Jahr starb, war seine Frau nicht bereit, sich vom Tod die Trennung diktieren zu lassen. Sie wandte sich an das Berliner Bestattungsinstitut „Christ-All“ – und trägt die Asche ihres Liebsten heute als Diamant in ihrem Ehering.

René Andree hat das Unternehmen Christ-All vor drei Jahren gegründet. Er bietet auch Weltraum- und andere außergewöhnliche Bestattungsformen an. Die Asche Verstorbener zu Diamanten zu pressen, war seine jüngste Idee. Außer Melissa P. hätten, so sagt er, bereits rund 150 Hinterbliebene ihr Interesse daran gezeigt.

Mindestens 4000 Euro berechnet Andree für diese Art der Bestattung. Es gibt eine Trauerfeier, dann folgt die Einäscherung im Krematorium, anschließend wird die Urne in die Schweiz gebracht.

Denn in Deutschland herrscht Bestattungszwang. Niemand darf seine Großmutter im Garten beerdigen oder die Asche seiner Toten auf dem Kaminsims aufbewahren – geschweige denn, in einer Kapsel um den Hals tragen. In der Schweiz aber sei es jedem selbst überlassen, was mit der Asche geschieht, sagt Andree. Sobald die Schweizer Behörden einen „Urnenannahmeschein“ ausstellen, ist die Grablege keine Angelegenheit deutscher Ämter mehr.

Das Schweizer Unternehmen Algordanza erhöht nun in verschiedenen Schritten – wie Erhitzen ohne Sauerstoff und im Vakuum – den Kohlenstoffgehalt der Asche von zehn auf 90 Prozent, presst sie dann für zwei Tage zu Graphit. Anschließend wird dieses, wie bei der Herstellung synthetischer Diamanten üblich, zwei Wochen lang bei einem Druck von 50 000 Bar gepresst. Dabei nimmt der Kohlenstoff – wie in der Natur, nur viel schneller – Kristallstruktur an und wird zu einem Rohdiamanten von etwa einem Viertel Karat.

Und „jeder Diamant ist so einzigartig wie der Mensch“, sagt René Andree: Die Asche hat bei jedem Menschen eine andere chemische Zusammensetzung – abhängig von den Mengen an Bor, das der Mensch zu Lebzeiten aufgenommen hat, aber auch von anderen Umwelteinflüssen, ja sogar den jeweiligen Ess- und Trinkgewohnheiten. So entsteht auch bei jedem Diamanten eine andere Farbe, von kristallklar bis dunkelblau ist alles möglich. Zuletzt kann der Stein nun in eine von den Hinterbliebenen gewünschte Form geschliffen und auf Wunsch auch graviert werden.

Aus Andrees Sicht sind die Vorteile für die Hinterbliebenen offensichtlich: Der Diamant kann sowohl als Zierstein in Schmuckstücken aufbewahrt als auch beispielsweise auf einem Granitsockel befestigt werden. Die Trauer und das Gedenken seien damit nicht an den bestimmten Ort des Grabs gebunden. Menschen, die nicht die Kraft oder Zeit für einen regelmäßigen Friedhofsbesuch haben, bräuchten sich dann keine Sorgen um die Grabpflege machen müssen. Und die Hinterbliebenen haben die Möglichkeit, den geliebten Menschen immer in ihrer Nähe zu haben.

Vertreter der evangelischen Kirche indessen sehen die Umwandlung von Verstorbenen in einen Kristall kritisch. Thiets Gundlazh aus der Abteilung für Verkündigung, Dienst und Werke nennt es makaber, „seine verstorbene Großmutter an einem Ring mit sich herumzutragen“. Aus theologischer Sicht sei dies nicht unterstützenswert. „Man sollte die Toten loslassen.“

Auch die katholische Kirche sieht in der Verarbeitung der Asche Verstorbener zu Schmucksteinen einen „Widerspruch zu einer christlichen Bestattungs-, Trauer- und Erinnerungskultur“. Martina Höhns, Sprecherin der Deutschen Bischofskonferenz, ergänzt, dass jede Privatisierung der Bestattung dazu beiträgt, „den Tod unsichtbar zu machen und die personale Würde des Menschen über seinen Tod hinaus zu verdunkeln“.

Aber es gibt auch Experten, die Andrees Angebot begrüßen. Die Psychologin Ulla Steger etwa sagt, dass gerade Eltern toter Kinder oft ein großes Bedürfnis verspüren, etwas von diesem noch bei sich zu tragen. Der Schmerz werde so „erträglicher“.

Jedoch würde sie es vorziehen, wenn nur ein Teil der Asche zu einem Diamanten gepresst würde. So könnte ein anderer Teil immer noch in der Urne beerdigt werden. Schließlich bleibe ein Grab ein wichtiger Bezugspunkt insbesondere für diejenigen Angehörigen, Freunde und Bekannten der Toten, die nicht im Besitz des Diamanten sind, aber ebenfalls unter dem Verlust des geliebten Menschen leiden. Und auch dies gibt es schon: Das Unternehmen LifeGem bietet ebenfalls die Pressung von Diamanten an – doch dabei wird in den Vereinigten Staaten nur ein Teil der Asche transformiert. Der übrige Teil kann und soll ganz normal in einem Grab beigesetzt werden.

Sarah Tolba

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