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Berlin: Neue Frauen hat das Land

Die Berufswelt ändert sich. Männer kommen damit schlechterklar–dieHumboldt-Uni hat das erforscht

Von Sandra Dassler

1990 waren West-Berliner Banker sehr überrascht: Mehr als 80 Prozent der Angestellten der Ost-Berliner Sparkasse waren Frauen. Im Westen war das Verhältnis umgekehrt. Und: Die meisten weiblichen Sparkassen-Angestellten behielten auch nach der Fusion mit der West-Sparkasse ihre Jobs, weil sie sich rasch qualifizierten.

Das Staunen der Banker ist wissenschaftlich belegt. Professorin Hildegard Maria Nickel, die an der Humboldt-Universität seit Jahren zur „Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse“ forscht, erarbeitete damals eine Studie. Die Ergebnisse hält sie noch heute für repräsentativ – belegten doch auch neuere Studien, dass die Frauen sich schnell auf neue Bedingungen einstellen und bereit sind, dafür auch Opfer zu bringen.

In Interviews haben die Sparkassen-Angestellten auch berichtet, wie ihre Männer zu der beruflichen Neuorientierung standen. Manche waren arbeitslos geworden, dachten aber nicht daran, die freie Zeit zu nutzen, um ihren sich fortbildenden Frauen den Rücken zu stärken. „Im Gegenteil“, erinnert sich Hildegard Maria Nickel: „Einige machten ihren Frauen sogar Vorwürfe, weil die sich beruflich weiterentwickelten. Und den Frauen selbst war es eher peinlich, dass sie plötzlich den Lebensunterhalt für die Familien allein erarbeiteten.“

Die historische Episode wäre längst vergessen, wenn sie Nickel und ihrer Kollegen nicht für exemplarisch für eine Entwicklung hielten, die zwar im Osten begann, aber längst das ganze Land erreicht hat. „In Berlin hat sich der Übergang von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft sogar ganz besonders schnell vollzogen“, sagt Nickel. „Und Frauen kommen damit im Moment besser zurecht als Männer, die große Probleme haben, den Wandel ihrer traditionellen Rolle in der Familie und im Beruf zu verkraften.“

Weil erwerbstätige Frauen schon immer sehr flexibel sein mussten, um verschiedene Lebensbereiche zu managen, kommen sie mit den neuen Anforderungen der Dienstleistungsgesellschaft besser zurecht. Sie nehmen sich beispielsweise leichteren Herzens als ihre männlichen Kollegen Aktenberge mit nach Hause. Sie verlagern ihre Arbeitszeit entsprechend den tatsächlichen Notwendigkeiten und verfügen über eine höhere soziale Kompetenz, die vor allem bei Teamarbeit gefragt ist. Außerdem haben sie gelernt, durch die Übernahme zusätzlicher Aufgaben die Chefs auf sich aufmerksam zu machen – und werden so zum besseren „Unternehmer der eigenen Arbeitskraft“, wie es die Soziologen nennen.

Für all das zahlen sie oft einen hohen Preis: 40 Prozent aller Akademikerinnen wollen um der Karriere willen auf Kinder verzichten. Ihre höhere Leistungsbereitschaft wird von manchen Chefs gnadenlos ausgenutzt, die ihnen immer mehr Arbeit aufbürden. Viele ziehen extra für einen neuen Job in eine andere Stadt.

Dass in Berlin inzwischen mehr Frauen in sozialversicherungspflichtigen Jobs arbeiten als Männer (wir berichteten), sagt aber nichts über ihren tatsächlichen gesellschaftlichen Einfluss aus. In Leitungs- und Spitzenpositionen dominieren immer noch Männer. Und während inzwischen 50 Prozent der Studierenden an der Humboldt-Uni Frauen sind, beträgt ihr Anteil bei Promotionen nur 40, bei Habilitationen sogar nur noch etwa 20 Prozent.

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