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Politischer Akt? Vor allem junge muslimische Frauen lassen sich Umfragen zufolge nicht mehr von Brüdern, Vätern oder Ehemännern das Kopftuch vorschreiben, sondern tragen es aus freien Stücken.

© picture alliance / dpa

Neue Kopftuchdebatte in Berlin: Neukölln: Kein Job beim Bezirksamt mit Kopftuch

Der Moscheeverein Inssan in Berlin bezichtigt den Bezirk Neukölln des systematischen Rechtsbruchs: Das Bezirksamt dürfe Frauen mit Kopftuch die Einstellung nicht verweigern.

Von Fatina Keilani

Eine Stewardess verweigert einer Frau mit Kopftuch im Flugzeug die Dose Cola. Begründung: Sie könnte sie ja als Waffe benutzen.

Ein schwuler Deutscher verkleidet sich als Türkin mit Kopftuch und tritt bei einem Bühnenfest auf. Er erntet Protest.

Eine Rechtsreferendarin darf ihre Ausbildung nicht im Rechtsamt des Bezirks Neukölln fortsetzen, weil sie Kopftuch trägt.

Über kein Kleidungsstück wird so viel gestritten wie über das Kopftuch. Das Kopftuch ist heute eben kein bloßes Kleidungsstück mehr. Es ist ein Symbol. Aber für was? Für die Unterdrückung der Frau, sagen die einen. Für eine Religion, die Männer und Frauen nicht als gleichwertig betrachtet. Es steht für religiöse Freiheit, sagen die anderen. Die Berliner Bloggerin Betül Ulusoy geht noch weiter und nennt das Tragen des Kopftuchs einen Akt der Emanzipation. Sie ist nicht die erste, die es so sieht. Emanzipation wovon? Vom Schönheitsdiktat, so Ulusoy. Vom Zwang, normierten Idealen genügen zu müssen. Von der alltäglichen Fleischbeschau in der Werbung und in unserer von vielen als „unrein“ und "degeneriert" empfundenen Gesellschaft.

Diesem Zwang kann man sich sicher auch auf andere Weise entziehen. Betül Ulusoy aber hat jetzt wie berichtet in Berlin eine neue Kopftuchdebatte ausgelöst. Sie ist ein Kind ihrer Zeit. Durch das Internet kann jeder zum Aktivisten werden. Ulusoy hat ihr erstes juristisches Staatsexamen in der Tasche und will die Verwaltungsstation des Referendariats im Rechtsamt von Neukölln ableisten. Dort sieht man es als Problem, dass sie Kopftuch trägt. Doch statt sich still mit der Ablehnung abzufinden, wandte sich die junge Frau an die Medien, trat im Fernsehen auf, drohte mit Klage.

Die meisten Abgewiesenen wehren sich nicht groß

Das Bezirksamt beeilte sich klarzustellen, Ulusoy sei ja noch gar nicht abgewiesen worden. Man prüfe das. Am Dienstag gebe es eine Entscheidung. Doch die Positionen sind klar: Sowohl Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als auch ihr Stellvertreter Falko Liecke (CDU) sind gegen das Kopftuch. „Das Kopftuch ist Ausdruck von Unterdrückung und Einschränkungen der Frau, die nicht wegdiskutiert oder schöngeredet werden können“, teilte Liecke umgehend mit. Er werde alles dafür tun, Kopftücher im Bezirksamt zu verhindern.

Andere Bezirke sehen das nicht mehr so streng. Andere Länder, etwa Großbritannien oder die USA, verbieten eine derartige Beschränkung. Britische Polizistinnen tragen das Tuch unterm Helm. Auch in Österreich gibt es kein Verbot.

Muslimas, die es freiwillig tragen, wundern sich, warum sich andere für sie den Kopf zerbrechen. „Hey, sie kämpfen sicher nur für meine Befreiung“, twitterte Ulusoy. Was, wenn eine gar nicht befreit werden will? Oder sich unterm Tuch sogar freier fühlt?

Lydia Nofal vom interkulturellen Verein Inssan sieht ein spezielles Neuköllner Problem: „Wir haben noch nie gehört, dass es woanders ein Problem ist, Frauen mit Kopftuch zu beschäftigen“, sagt sie. „Nur der Bezirk Neukölln ignoriert geltendes Recht, und das seit Jahren.“ Selbst Schülerinnen würden für ein Praktikum abgelehnt. Man rate abgelehnten Bewerberinnen zur Klage, doch die meisten wollten den Stress nicht: „Dabei ist die Rechtslage eindeutig, die Klage wäre ein Selbstgänger.“

Betül Ulusoy traue sie zu, dass sie die Sache durchzieht, sagt Nofal. Bei Bundesministerien und Senatsverwaltungen habe Inssan herumgefragt und überall dieselbe Anwort bekommen: Selbstverständlich sei das Kopftuch kein Einstellungshindernis. Liegt es in Neukölln daran, dass der Bezirk jeden Tag Erfahrungen mit radikalisierten Muslimen macht?

Das Kopftuch begleiten diffuse Befürchtungen

Genau das zeigt das Dilemma. In der Ablehnung spielt Diffuses mit, ähnlich wie beim Koffer auf dem Bahnsteig: Es könnte eine Bombe drin sein. Oder wie beim Eingangsbeispiel: Jeder Moslem könnte ein Terrorist sein, so die Sorge.

Ob das Kopftuch im Islam zwingend ist, ist umstritten. Viele Muslimas haben öffentlich begründet, warum sie es nicht tragen. Das Dilemma bleibt. Unsere Verfassung gewährleistet größtmögliche Religionsfreiheit für jedermann – als Privatsache; der Staat aber hat neutral zu sein.

Eine Rechtsanwältin mit Kopftuch ist auch in Berlin kein Problem – darüber waren sich schon vor anderthalb Jahren alle Fraktionen des Abgeordnetenhauses im Rechtsausschuss einig. Anders, wenn jemand als Vertreter des Staates auftritt.

An das Kopftuch knüpfen sich Befürchtungen. Kann jemand, der es trägt, trotzdem die Werte unserer Verfassung vertreten? Diese widersprechen teilweise denen des Islam. Wer garantiert, dass Witze über Mohammed möglich bleiben? Ist einer Frau mit Kopftuch zuzutrauen, dass für den schwulen Comedian eintritt, auch wenn sie seine Witze geschmacklos findet – weil sie die Freiheitsrechte hochhält? Wie wäre es, wenn ein Referendar mit Kippa ins Bezirksamt wollte? Ein Punkt entzieht sich ohnehin jeder Regulierung: Das Kopftuch kann man ablegen, die innere Einstellung nicht.

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