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An entspanntes Lernen ist an vielen Schulen nicht mehr zu denken: weil die Klassen immer voller werden.

© Kai-Uwe Heinrich

Neue Zahlen der Gewerkschaft GEW: Berlin ist Schlusslicht bei der Lehrerausbildung

"Die Senatorin verharmlost die Lage": Die Gewerkschaft GEW greift Berlins Schulsenatorin Sandra Scheeres wegen des Lehrermangels an. Probleme gibt es auch bei den Erziehern.

Kein anderes Bundesland hat zuletzt so stark am Lehrerbedarf vorbeigeplant wie Berlin: Auf 2400 benötigte Pädagogen kamen 2015 nur knapp 890 fertige Referendare. Ein solches Missverhältnis hat es, zumindest seit 2005, noch nie in Deutschland gegeben. Dies zeigt eine Erhebung der Kultusministerkonferenz, die am Mittwoch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) präsentierte.

Nur jeder fünfte neue Lehrer ist für die Grundschule ausgebildet

GEW-Chef Tom Erdmann erinnerte daran, dass in Berlin in den vergangenen Jahren Tausende Bewerber für ein Lehramtsstudium abgelehnt wurden, weil auch Wissenschafts- und Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) nicht für genügend Studienplätze gesorgt hatte. Die Folge dieser Politik sei in diesem Jahr, dass nur jeder fünfte neue Grundschullehrer – 162 von 910 Eingestellten – für diese Schulform ausgebildet sei. Bei den Übrigen 750 handelt es sich um Quereinsteiger und ehemalige DDR-Pädagogen für untere Klassen sowie um Studienräte, die nur Erfahrung mit älteren Schülern haben und nicht wissen, wie man alphabetisiert. Die GEW befürchtet einen „Qualitätsverlust“, wenn bei der Menge der Quereinsteiger „der Bogen überspannt“ werde. Zudem berichten viele Schulen, dass sie zwar rechnerisch genug Pädagogen, aber große Lücken bei den Fachlehrern für Sonderpädagogik, Mathematik, Physik, Chemie, Informatik, aber auch für Kunst oder Sport haben.

GEW: Jede zehnte Stelle noch nicht besetzt

Eine GEW-Rundfrage hat unterdessen ergeben, dass nach ihren Angaben noch rund zehn Prozent der offenen Stellen unbesetzt sind. Einzelne Schulen berichteten von bis zu fünf fehlenden Lehrer. Dies gilt besonders in den sozialen Brennpunkten wie Neukölln oder Marzahn-Hellersdorf. Die GEW kritisierte, dass Scheeres die Lage "verharmlose", wenn sie von einer "guten Bewerberlage" spreche.

"Schlicht falsch" sagt die Bildungsverwaltung

„Nachsteuerungsbedarf gibt es wie jedes Jahr in Einzelfällen“, reagierte die Bildungsverwaltung. Es sei aber „schlicht falsch“ von zehn Prozent noch nicht besetzten offenen Stellen zu sprechen, so Scheeres’ Sprecherin Beate Stoffers. Zu den KMK-Angaben sagte sie mit Hinweis auf Inklusion, Altersermäßigung und Flüchtlingszahlen, es gelte die „unterschiedlichen Rahmen- und Ausgangsbedingungen“ der Länder zu betrachten.

30 Kinder pro Klasse sogar in Sekundarschulen

GEW-Vorstandsmitglied Nuri Kiefer wies auf ein weiteres Problem hin: Der Schülerzuwachs führt dazu, dass die Klassen immer voller werden. Als Beispiel nannte er Treptow-Köpenick: Dort wurden die Integrierten Sekundarschulen (ISS) am Montag angewiesen, die neunten und zehnten Klassen mit 30 Schülern einzurichten. ISS mit ihrer oftmals sozial schwierigen Klientel sollten eigentlich nicht mehr als 26 Schüler aufnehmen. Kiefer erinnerte daran, dass die früheren Hauptschulen nur 14 Kinder pro Klasse hatten.

Auch in etlichen Grundschulen werde die Richtgröße von 23 bis 26 Schülern pro Klasse noch überschritten.

Erschwert wird der Schuljahresbeginn durch die Unterbesetzung in der Personalstelle der Bildungsverwaltung. Es herrsche dort „absolutes Chaos“, lautet die Einschätzung eines Personalratsmitglieds. Betroffene berichten, dass sie monatelang auf ihr vollständiges Gehalt warten müssten, weil die Personalstelle es nicht schaffe, die exakte Gehaltsstufe zu berechnen. Scheeres sucht bereits neue Mitarbeiter.

Probleme gibt es auch bei der Erzieherausstattung

Von 120 offenen Stellen in den öffentlichen Horten hatte Bildungssenatorin Scheeres zuletzt gesprochen. Die GEW-Vorsitzende Doreen Siebernik weiß sogar von 150 Lücken. Hinzu kommt eine unbekannte Zahl von unbesetzten Stellen bei den freien Hort-Trägern. Den Gesamtbedarf in Kitas und Horten beziffert der Senat auf 1330 Vollzeitstellen, was etwa 1600 Teilzeitkräften entspricht.

Fünf Tage vor der Wahl will die GEW – im Hinblick auf die Koalitionsverhandlungen – für eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen demonstrieren, die weniger verdienen als im Bund üblich. Am Dienstag um 8 Uhr gibt es eine Kundgebung vor Scheeres’ Amtssitz.

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