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Neues Museum: Skulpturenfund vom Roten Rathaus fasziniert Besucher

Seit Montag sind elf Skulpturen, die man bei den U-Bahn-Grabungen am Roten Rathaus fand, im Neuen Museum zu sehen. Ihr Anblick berührt und fasziniert die Besucher.

Sie fallen nicht gleich ins Auge, man muss erst den Weg ins Kellergeschoss finden. Doch dann ist der Anblick umso berührender: Wie sie da stehen, in dem riesigen, mehrere Stockwerke überspannenden Saal des Griechischen Hofs des Neuen Museums, klein und verletzlich, zerkratzt, verwittert und gezeichnet von den Jahrzehnten in der Erde, dem Vergessen entrissen, zurückgewonnen für die Gegenwart. Seit Montag sind die elf einst von den Nazis als „entartet“ abgestempelten Skulpturen, die man bei den U-Bahn-Grabungen vor dem Roten Rathaus fand, hier ausgestellt. Sie wirken wie zerschlissene Boten, die von einer großen Katastrophe künden. So wie Otto Freundlichs „Kopf“, der zur Hälfte zerschlagen ist. Er symbolisiert die Spuren der Gewalt, die im Nazireich zur Staatsideologie wurde, am deutlichsten.

Zurückhaltendes Gemurmel im Saal, kein Massenandrang, aber ein ständiges, stilles Kommen und Gehen. Die Besucher sind in die Betrachtung der Kunstwerke versunken oder zücken ihre Kameras. Auch Manfred Bodenstein fotografiert eifrig. Der 69-jährige sammelt selbst Kunst in seiner Reinickendorfer Wohnung. „Das ist wie eine Wiederauferstehung unserer Stadt“, meint er. Der Anblick der stummen Skulpturen löst bei ihm die Zunge, er erzählt von den Brandbomben, die er als Kleinkind erlebte, von Luftbrücke und Mauerbau. So bildet sich jeder Besucher seine eigenen Assoziationen. Doch Manfred Bodenstein ist nicht nur wegen der Geschichte hier, sondern auch wegen der Kunst. Am besten gefällt ihm die „Tänzerin“ von Marg Moll – „weil sie so kubistisch ist“ – und Edwin Scharffs „Bildnis der Schauspielerin Anni Mewes“, deren „ägyptische Züge“ er bewundert.

So entstehen plötzlich Bezüge zu den Werken aus anderen Kulturen in diesem Saal, der unter dem Motto „Bezwingung des Chaos“ steht. Ägyptische Reliefs zeigen Könige, die Tiere bändigen, Frachtschiffe stehen für Handelsbeziehungen, kumanische Steinfiguren aus der südrussischen Steppe symbolisieren Heimstätten für die Seelen. Wie kann man da nicht eine Brücke schlagen zu dem Chaos, dem diese Skulpturen entstammen, und ihrer glücklichen Bergung?

Maria Korte-Palabiyik, die während der Mittagspause ins Neue Museum kam, ist trotzdem nicht ganz glücklich: „Ja, es ist ein Triumph. Aber schade ist, dass die Werke immer noch unter diesem schrecklichen Namen bekannt sind.“ Tatsächlich fragen oben in der Empfangshalle manche Besucher, wo denn die „entartete Kunst“ zu finden sei. Sie meinen es wahrscheinlich nicht so, aber das Etikett klebt immer noch. Der Schatten der Nazis ist lang.

Mit Licht und Schatten hatte Lutz Pröhl beruflich zu tun: Er war Kameramann beim DDR-Fernsehen. „Daher interessiere ich mich natürlich für alles, was mit Bildern in der Kunst zu tun hat“, sagt er beim Betrachten der „Schwangeren“ von Emy Roeder. Roland Genau aus Thüringen hat in der Zeitung von der Ausstellung gelesen: „Ich finde es besonders erfreulich, wie schnell diese Skulpturen ausgestellt wurden. Man hat sie ja erst im Oktober gefunden.“ Die Geschichte dieses Funds und des Wirtschaftstreuhänders Erhard Oewerdieck, der die Werke vermutlich in seinem Büro in der Königstraße 50 gegenüber dem Rathaus gelagert hat, wird im hinteren Bereich des Saals erzählt. Es ist auch eine Geschichte von der dicht gewebten Vergangenheit des Viertels, das heute eine von jeder Erinnerung entleerte Freifläche ist. Die Besucher halten sich hier besonders lange auf.

Neues Museum, Bodestraße 1-3, geöffnet täglich 10-18 Uhr, Do-Sa bis 20 Uhr

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