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Das neue Quartiersmanagement-Team vom Soldiner Kiez: Hayal Düz, Cornelia Cremer (Geschäftsführerin der UrbanPlan GmbH) und Svenja Wagner (v.l.n.r.)

© Julian Krischan

Neues Quartiersmanagement an der Soldiner Straße: Viel Arbeit im rauen Kiez

Im Soldiner Kiez war und ist das Leben nicht immer einfach. Das Quartiersmanagement will helfen, die soziale Situation zu verbessern – und hat seit Beginn des Jahres eine neue Chefin.

Montagmorgen, halb elf. Noch einige Passagiere sind an Bord, als ein Zug der U9 in die Endhaltestelle Osloer Straße einläuft. Blitzschnell sind die Aussteigenden umzingelt – von einer Schar an BVG-Mitarbeitern, die zum Vorzeigen der Fahrkarten bitten. „Personalausweis zur Fahrkarte“, lautet die Begrüßung an manche Fahrgäste.

Die Schwarzfahrerquoten scheinen an der Osloer Straße hoch zu sein, findet eine so genannte „Abgangskontrolle“ doch nur selten in Berlin statt. Auffällig sind in diesem Bereich des Weddings auch andere Quoten – zumindest, wenn es nach der Verwaltung geht: Nahezu die Hälfte der hier Ansässigen bekommt staatliche Unterstützungen, die Mehrzahl der Kinder wächst in ärmlichen Verhältnissen auf und nur wenige bekommen eine Empfehlung fürs Gymnasium. Vor nicht allzu langer Zeit hieß es noch, selbst Polizei-Streifen trauten sich nicht in den Soldiner Kiez.

Um das zu ändern, hat der Berliner Senat bereits im Jahr 1999 so genannte „Quartiersmanagement-Gebiete“ eingesetzt. Fünf davon gibt es im Wedding, eines davon im Kiez an der Soldiner Straße. Es sind vor allem die Häuserblöcke an der Drontheimer Straße, der Soldiner Straße und der Prinzenallee – in Richtung Innenstadt wirkt die breite Osloer Straße als bauliche und imaginäre Grenze.

Vom U-Bahnhof Osloer Straße aus betritt man den Kiez über das alte Firmengelände der AEG. Hinter dem Torbogen, wo einst die Stechuhr den jähen Takt des Lebens diktierte, sind heute kleinere Geschäfte, in denen man Haushaltsartikel und Lebensmittel aus aller Welt kaufen kann. Es wirkt ein klein wenig provisorisch – und besonders an jenem Montagmorgen, an dem man wegen des Blitzeises eigentlich zu Hause hätte bleiben sollen. Viele Mutige sind dennoch auf den Beinen und schlittern gebückt und mit kleinen Schritten in Richtung Soldiner Kiez.

Verborgene Schönheiten: Auf den Eisinseln der renaturierten Panke finden auch Enten eine Heimstatt im Soldiner Kiez.
Verborgene Schönheiten: Auf den Eisinseln der renaturierten Panke finden auch Enten eine Heimstatt im Soldiner Kiez.

© Julian Krischan

Neuer Blick auf alte Strukturen

Im Büro des Quartiersmanagements in der Koloniestraße 129 sind gerade noch Handwerker tätig. Es riecht nach frisch Gestrichenem, in den noch leeren Räumen hallt es. Das Büro gibt es seit 15 Jahren, zum 1. Januar 2014 fand jedoch ein Wechsel des Trägers statt. Svenja Wagner arbeitet seit vier Jahren im Quartiersmanagement und wurde vom neuen Träger, der urbanplan GmbH, übernommen. „Verändern wird sich sicher die Ansprache und es ergibt sich ein neuer Blick auf alte Strukturen“, kündigt Wagner an.

Cornelia Cremer ist die neue Chefin des Büros und kann den ein oder anderen „persönlichen Schwank“ im Zusammenhang mit dem Soldiner Kiez erzählen. „Rau“ sei der Kiez, „aber mit verborgenen Schönheiten“. Sie verweist auf die Renaturierung der Panke und auf naturbelassene Rückzugsorte, die ein Abschalten von der „harten Großstadtrealität“ ermöglichen würden.

In der Soldiner Straße, die den Kiez durchquert, ist es mit Ruhe dagegen nicht allzu weit her – und selbst bei minus 12 Grad sind am Samstagnachmittag zahlreiche Menschen auf der Straße. Die Besitzer der Eckkneipen, Spielcasinos und sonstiger Gewerbe rüsten sich für geschäftige Abendstunden. Und es sind an diesem frostigen Samstagnachmittag vor allem Cliquen junger Mädchen, die etwas gelangweilt durch die Straßen des Kiezes ziehen. Der Altkleidercontainer in der Freienwalder Straße wurde scheinbar zur Kleidersammelstelle umfunktioniert: Gebrauchte Kleidung wird hier offenbar nicht nur eingeworfen, sondern auch mal am Baum nebenan abgelegt. Im Frühjahr wird aber auch an dieser Stelle aufgeräumt werden – dann nämlich, wenn das Quartiersmanagement wie jedes Jahr die Bewohner zum Frühjahrsputz aufruft.

Die "dummen Anmachen" sind zurückgegangen

Auch Eberhard Elfert ist oft im Dunstkreis der Soldiner Straße unterwegs, seitdem er vor vier Jahren hierher gezogen ist. „Damals stand der Kiez im Berliner Sozialranking ganz hinten“, berichtet Elfert, der sich vielfältig im Wedding engagiert, unter anderem mit dem jährlichen Kulturfestival und dem Weddingmarkt. „Dumme Anmachen“ in seinem Kiez hätten in den letzten Jahren abgenommen. Als Bewohner des Viertels saß er eine Zeitlang auch im Quartiersrat – einem Gremium, das die Arbeit des Quartiersmanagements begleitet. Cornelia Cremer hat die Mitglieder des Quartiersrats in diesen Tagen kennen gelernt – und wird sich mit ihnen über die Stoßrichtung der weiteren Entwicklung im Kiez verständigen müssen. „Ein zukünftiger Schwerpunkt der Arbeit ist durch EU-Recht schon vorgegeben“, berichten die Mitarbeiterinnen des Quartiersmanagements und verweisen auf das „Handlungsfeld Bildung, Ausbildung und Qualifizierung“. Kooperieren wolle man hierzu vor allem mit Oberschulen, die in den benachbarten Gegenden liegen – im Soldiner Kiez gibt es nämlich keine einzige. Cornelia Cremer hatte zuletzt einen Schulverbund in Marzahn und Hellersdorf initiiert.

Drei Praktikanten sind zu viel

Was die anderen Arbeiten anbelangt, so müsse man in den nächsten Wochen erst mal „durchblicken“, sagt sie – und so gibt es auch keine guten Nachrichten für die drei Studenten, die seit Anfang des Jahres im Büro in der Koloniestraße vorstellig wurden. „Die wollten hier ein Praktikum machen, weil sie gleich um die Ecke wohnen, aber drei sind zu viel“, so Cremer. Die Bevölkerungsstruktur hat sich verändert in den letzten Jahren, mittlerweile ziehen immer mehr junge Akademiker hierher.

Müllhalde Soldiner Kiez? Nicht mit dem Quartiersmanagement! Wie jedes Jahr wird es bald wieder eine Putzaktion im Soldiner Kiez geben - sobald die Frühjahrssonne rauskommt, aber nicht bei Minusgraden...
Müllhalde Soldiner Kiez? Nicht mit dem Quartiersmanagement! Wie jedes Jahr wird es bald wieder eine Putzaktion im Soldiner Kiez geben - sobald die Frühjahrssonne rauskommt, aber nicht bei Minusgraden...

© Krischan

„Wir wollen durchmischen und nicht austauschen“, sagt Svenja Wagner vom QM. Die Stärken des Kiezes lägen in der kleinstädtischen und nachbarschaftlichen Atmosphäre. Um das hervorzuheben, ist in den kommenden Jahren auch ein „Stadtteilmarketing-Konzept“ geplant.

Ob sich ein solches Konzept mit den ganzen ursprünglichen Orten im Kiez vereinbaren lässt? Am Sonntagnachmittag sind die Rollläden am Büro des Quartiersmanagements heruntergelassen – und auch sonst bewegt sich in der Koloniestraße nicht viel. Anders sieht es da schon entlang der Prinzenallee aus: Alle paar Meter springt dem Passanten eine blinkende Leuchtschrift mit „OPEN“ beziehungsweise „Coffee“ ins Gesicht.

Die EU-Vorgaben sehen auch vor, dass die Gewerbetreibenden in das Quartiersmanagement einbezogen werden sollen. „Das wird sicher ein bisschen schwierig“, räumt Svenja Wagner ein.

Ins „Cafe Pitek“ an der Ecke zur Biesentaler Straße – seit mehr als fünf Jahren im Kiez – kommen die Kunden auch ohne Leuchtreklame. „Schöne Musik ham se“, lobt ein Mann mit Sonnenbrille und engen Jeans die fernöstlichen Klänge. Ob er das Quartiersmanagement in der Koloniestraße kennt? „Ach, det is doch...“, sagt er, und stürzt aus der Tür wieder in die eisige Kälte. Der Mann an der Theke fragt leicht verwundert: „Quartiersmanagement? Nie gehört.“

Dieser Artikel erscheint im Wedding-Blog, dem Online-Magazin des Tagesspiegels.

Julian Krischan

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