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Unternehmer Yilmaz

© Doris Spiekerman-Klaas

Neukölln: Ein Sozialarbeiter, der Unternehmer macht

Geschäftsmann Hüseyin Yilmaz verbreitet Gründergeist in Neukölln. Für ihn hat fast jeder eine Chance, sich selbstständig zu machen.

Um sechs Uhr morgens, wenn andere noch träumen, sitzt Hüseyin Yilmaz am Schreibtisch und schmiedet Pläne. Wie er türkischen Unternehmern in Berlin helfen kann, was er für Jugendliche ohne Schulabschluss tun kann oder für türkische Mütter, die mit den Schulproblemen ihrer Kinder nicht klarkommen. „Ich brauche nicht mehr als fünf Stunden Schlaf“, sagt der kleine drahtige Mann. Wie könnte er sich sonst auch um seinen Edeka-Markt in Tegel kümmern, mit seiner Frau ein Büro für Unternehmensberatung führen und noch dazu den Türkischen Unternehmer- und Handwerkerverein leiten?

Es ist zehn Uhr an diesem Freitagvormittag, Hüseyin Yilmaz sitzt im Konferenzraum des Türkischen Unternehmer- und Handwerkervereins (TUH). Durch die großen Fenster scheint die Sonne in das Büro an der Neuköllner Hermannstraße. Nebenan führen Mitarbeiter Bewerbungsgespräche mit Frauen für ein ABM-Projekt, das im Herbst starten soll. Auch eine von Yilmaz’ Ideen: Er will ABM-Kräfte beim Verein anstellen. Sie sollen im Kiez alte Kleider einsammeln, sie in die Wäscherei bringen und sie flicken – um sie danach ans Rote Kreuz zu spenden. Die Teilnehmer des ABM-Projekts lernen aber nicht nur nähen, sondern auch Deutsch und ein bisschen Betriebswirtschaft, so dass sie sich danach selbstständig machen können. Finanziert wird das Ganze vom Jobcenter. Ein paar Zimmer weiter lernen acht Männer und Frauen Lesen und Schreiben.

Yilmaz hat mit seinem Unternehmer- und Handwerkerverein noch viele andere Initiativen gestartet: den „Müttertreff“ zum Beispiel, bei dem sich deutsche und türkische Frauen zusammentun und sich beim Kochen über alltägliche Schwierigkeiten austauschen. Oder das Projekt für Schulabbrecher, die motiviert, qualifiziert und in Praktika vermittelt werden sollen. Die Vereinsgründung Ende 2005 hatte aber zunächst vor allem das Ziel, den türkischstämmigen Unternehmern in der Stadt zu helfen.

8000 gibt es in Berlin, sagt Yilmaz. Viele Türken machten sich selbstständig, weil sie keinen Job finden. Auch die, die weder Ausbildung noch Schulabschluss haben. Die Familie kratze das Ersparte zusammen, dann werde ein Dönerladen aufgemacht. „Die Leute sind mutig, aber sie haben keine Ahnung von Unternehmensführung.“ Ein halbes Jahr später sei der Laden pleite, das Geld weg. Denn das Geschäft sei hart geworden, Polen, Russen und viele andere Eingewanderte machten Konkurrenz. „Nur mit Qualität kann man überzeugen, nur wer den deutschen Standard erreicht, kann überleben“, sagt Yilmaz. „Aber dazu braucht man Wissen.“ Und das will er vermitteln – mit Existenzgründerseminaren, Deutschkursen, Rechtsberatung, indem er Leute zusammenbringt und Erfahrung vernetzt.

Der 46-Jährige mit den hochgekrempelten blau-weiß-karierten Hemdsärmeln macht keine großen Worte über Integrationspolitik. Er geht lieber raus auf die Straße, spricht mit den Inhabern von Friseurläden, Dönerbuden und Reisebüros, mit den türkischen Anwälten und Ärzten im Kiez, fragt, wo der Schuh drückt und versucht zu helfen, pragmatisch und effektiv. Sein Grundsatz: „Wir sind alle Menschen. Und alle Menschen wollen Wohlstand.“ Und wenn die Leute wirtschaftlich erfolgreich sind, dann erledigten sich Fragen der Integration von selbst.

Vergangenes Jahr haben er und seine Mitarbeiter 800 türkische Unternehmen in Neukölln besucht. Alle wurden gefragt, ob es Probleme gibt, ob sie ausbilden, Praktikumsplätze anbieten. Das Ergebnis: 20 Prozent haben Lehrlinge. Weitere 20 Prozent würden gerne ausbilden, oft scheitere es aber daran, dass der Meisterbrief aus der Türkei hier nicht anerkannt werde. Deshalb hat Yilmaz zum Beispiel mit der Handwerkskammer und der Friseurinnung einen Fortbildungskurs ins Leben gerufen, in dem Friseure mit einem türkischen Meisterbrief deutsche Betriebswirtschaft und Pädagogik aufsatteln. Der Kurs kostet 2500 Euro, dafür müssen sie aber nicht die ganze Ausbildung nachholen.

Dieses Jahr sind die Problembeseitiger der TUH bei den türkischstämmigen Unternehmern in Reinickendorf und Tempelhof-Schöneberg unterwegs. Wenn Berlin es nicht schaffe, den Leuten hier zu helfen, werde man gerade die gut Ausgebildeten verlieren: Immer mehr packen die Koffer und gehen – in die Türkei. Bei einem jährlichen Wirtschaftswachstum von über sieben Prozent biete die Türkei mittlerweile bessere Aufstiegschancen als Deutschland.

Für Hüseyin Yilmaz ist die Rückkehr in die Heimat keine Option. „Istanbul ist in meinem Herzen“, sagt er. Aber sein Zuhause ist seit über 40 Jahren in Berlin. Er kam mit 19 zum Studium hierher, machte an der TU das Diplom als Chemieingenieur. Schon damals brauchte er nicht viel Schlaf: Während er die Diplomarbeit schrieb, arbeitete er als Schichtleiter in einem Unternehmen. Heute haben er und seine ebenfalls türkischstämmige Frau den deutschen Pass, die Töchter, 15 und 18 Jahre alt, gehen in Rudow aufs Gymnasium. Obwohl sie zu den Besten in der Klasse zählen, hören sie immer wieder, dass sie „irgendwie anders“ sind, erzählt der Vater.

Integration ist ein langer Prozess, sagt Yilmaz, Deutschland stehe wohl erst am Anfang. Claudia Keller

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