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Alles so schön bunt hier. Journalist und Autor Ramon Schack lebt seit einigen Jahren im „Problembezirk“. Neukölln verändere sich in rasender Geschwindigkeit – zum Besseren, findet er. Das habe Bürgermeister Heinz Buschkowsky in seiner Amtsstube nur noch nicht mitbekommen. Vom anderen Neukölln erzählt Schacks Buch.

© Kitty Kleist-Heinrich

Neukölln nirgendwo?: Heinz Buschkowsky soll provoziert werden

Ramon Schack legt sich in seinem Buch mit Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky an. „Neukölln ist nirgendwo“ ist die Antwort des Journalisten auf den Bestseller "Neukölln ist überall". Denn den findet Wahl-Neuköllner Schack „von gestern“. Doch so leicht lässt Buschkowsky sich nicht herausfordern.

Der Mann, der Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky herausfordern will, sitzt vor einem Szenecafé in der Sonnenallee 35. Nebenan in der SchultheissKneipe wird schon morgens um elf Pils gezapft. Ramon Schack trinkt lieber Cola. Bunt ist die Gegend hier. Vollbärtige Hipster laufen vorbei und Frauen mit Kopftüchern. Luxuslimousinen halten vor Dönerbuden. Und Senioren angeln Pfandflaschen aus Mülleimern. Es ist die Gegend, über die Ramon Schack ein Buch geschrieben hat.

„Neukölln ist nirgendwo“ heißt es, und der Titel ist natürlich eine Provokation. Es ist der Gegenentwurf zum Bestseller „Neukölln ist überall“ von Heinz Buschkowsky. Dessen Abrechnung mit dem Berliner „Problembezirk“ hat sich hunderttausendfach verkauft. Aber wenn Ramon Schack recht hat, dann hätte der Bezirksbürgermeister von der SPD nur schwarzmalerischen Unsinn aufgeschrieben. Neukölln sei sicherlich kein Sozialparadies: „Aber Buschkowskys Buch ist eine Analyse von gestern“, sagt Schack, der Jackett und weiße Sneaker trägt.

Der 41 Jahre alte Journalist hat seine Themen eigentlich „in der Weltpolitik“, wie er sagt. Er schreibt über Konflikte in Iran, im Kosovo oder in der Ukraine. Aber dann begab sich Schack in die Niederungen der Berliner Lokalpolitik. Seit zweieinhalb Jahren wohnt der gebürtige Kieler selbst im Bezirk Neukölln – und jetzt will er allen zeigen, dass die Gegend mehr ist als Ghetto und Hartz-IV-Dickicht. „Ich will die Vielschichtigkeit Neuköllns darstellen“, sagt Schack. Erscheinen sollen seine „Nachrichten aus Buschkowskys Bezirk“, so lautet der Untertitel des Taschenbuchs, im Juni.

Ramon Schack: „Neukölln ist nirgendwo. Nachrichten aus Buschkowskys Bezirk“ erscheint im Juni im Verlag 3.0 Zsolt Majsai. Es hat 150 Seiten und kostet 14,50 Euro. ISBN: 978-3944343747
Ramon Schack: „Neukölln ist nirgendwo. Nachrichten aus Buschkowskys Bezirk“ erscheint im Juni im Verlag 3.0 Zsolt Majsai. Es hat 150 Seiten und kostet 14,50 Euro. ISBN: 978-3944343747

© promo

Eigentlich sind es weniger Nachrichten als viele kleine Anekdoten, die der Autor aus seiner neuen Heimat zusammengetragen hat. Eine Sozialreportage, für die Schack die unterschiedlichsten Neuköllner Bürger getroffen hat: mittellose Einwanderer aus Osteuropa, versnobte Jungakademiker aus dem Westen und Alteingesessene, die nie aus ihrem Kiez herausgekommen sind. Und weil sich Polarisierungen immer gut verkaufen, interviewte Ramon Schack auch Neonazis und Salafisten. Herausgekommen sei „ein kleiner Querschnitt“, sagt er.

Eine seiner Anekdoten veröffentlichte der Autor vor ein paar Tagen vorab auf Facebook, nämlich den „Brief an Anka“. Und der sorgte immerhin sofort für Diskussionsstoff. Anka ist eine Polin, die in Neukölln schwarz putzen geht. Schack begleitete sie für seine Reportage. Eines Tages wurde Anka von einem linken Lehrerehepaar per Brief gekündigt, weil sie nicht öko genug sei. „Wie wir feststellen mussten, haben Sie sich nicht daran gehalten, so, wie wir es Ihnen nahegelegt hatten, vegane Putzmaterialien zu verwenden“, heißt es in dem Brief. Schack versichert, dass das Schreiben authentisch ist, andere vermuten eine „billige PR-Masche“. Jedenfalls sorgte der „Brief an Anka“ für Aufsehen, sogar Medien aus dem Ausland berichteten darüber. Im linksalternativen Milieu empörte man sich über den „Öko-Terrorismus“ mancher Leute.

Storys wie diese würde man eher im neureichen Prenzlauer Berg vermuten, aber für Schack ist die Geschichte ein gutes Beispiel dafür, dass die „Hipster-Blase“ längst in Neukölln angekommen sei. Die Bars und Galerien schießen aus dem Boden. Busse fahren an den türkischen Obst- und Gemüseläden vorbei und die Touristen begaffen die „Kopftuchmädchen“, wie der kommerziell noch erfolgreichere Autor Thilo Sarrazin sie abfällig nannte.

Neulich am Hermannplatz sei ein Hipster dann mal neben einem Touristenbus hergelaufen und habe den Neugierigen während ihrer „Safari“ einen großen Spiegel vorgehalten, erzählt Schack vergnügt. „Die waren ganz verstört.“

Was Neukölln ist und was nicht, weiß Ramon Schack auch nicht so richtig. Sicher sei, dass der Bezirk sich rasend schnell verändere und längst nicht mehr der Katastrophen-Stadtteil sei, wie Buschkowsky ihn zeichne. „In der Abgeschiedenheit seines Rathausbüros hat er die Realität nicht ganz wahrgenommen“, findet Schack.

Spannend wird sein, wie der Bezirksbürgermeister, der so gerne „Klartext“ redet, auf den Affront reagiert. Schack hat den Politiker schon zum Rededuell aufgefordert. Aber das Bezirksamt erteilte ihm eine schriftliche Absage: Ein Gespräch mit Herrn Buschkowsky sei derzeit „nicht realisierbar“.

Ramon Schack: „Neukölln ist nirgendwo. Nachrichten aus Buschkowskys Bezirk“ erscheint im Juni im Verlag 3.0 Zsolt Majsai. Es hat 150 Seiten und kostet 14,50 Euro. ISBN: 978-3944343747

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