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Berlin: Newtons Nackte und die alten Kameraden

Die frühere Kunstbibliothek am Bahnhof Zoo, bald ständiger Ausstellungsort für die berühmte Sammlung des Aktfotografen, hat eine militärische Vergangenheit – als preußisches Offizierskasino

„Unter der Regierung Wilhelms II., Deutschen Kaisers, Königs von Preußen, Erb. v.d. Kameradschaftl. Vereinigung d. Offiz. d. Landwehr Insp. Berlin MCMIX“ – die Widmung im Giebel ist sicher schon millionenfach gelesen worden. Besonders gut sieht man das Haus Jebensstraße 2 von der S-Bahn aus. Viele denken dabei wohl oft: Irgendwas Militärisches. Doch der neoklassizistische Klotz ist eher was Kulturelles. Hier residierte von 1954 bis 1994 die Kunstbibliothek. Und nun soll hier, wie berichtet, ein „Deutsches Centrum für Fotografie" entstehen, mit der berühmten Sammlung des Fotografen Helmut Newton im Zentrum - was für eine Geschichte.

Ja, was für eine Geschichte. Sie begann Anfang des letzten Jahrhunderts, als das Militär noch bewundert wurde und diejenigen, die dabei waren, nur schwer von den Uniformen loskamen. Offiziere der preußischen Landwehr-Inspektion Berlin, einer Art Reservistenarmee, achteten damals auf standesgemäße Repräsentanz. Nur fehlte ihnen dafür das rechte Gebäude. Und so sammelten sie Geld, viel Geld, um in Charlottenburg an einer damals noch namenlosen Straße (sie heißt erst seit 1912 Jebensstraße) ein Kasino zu bauen, das von dem Stolz, gedient zu haben, zeugen sollte. Die beiden Architekten Heino Schmieden und Julius Boethke zogen das Haus in nur zwei Jahren, von 1908 bis 1909, hoch. Sie hatten dabei eine seltene Bauaufgabe zu lösen, urteilen Experten heute: Oben repräsentative Versammlungsräume für die Offiziere, die hemmungslos Reichtum signalisieren sollten – und im Keller Schießstände, damit die Uniformträger es auch mal richtig krachen lassen konnten. Eine Million Reichsmark ließ man sich das Ganze kosten. Ein steinernes „Wir sind wer, wir können uns das leisten". Zum Vergleich: Für das Geld baute man zu jener Zeit auch eine der größten Schulen in Berlin, die Lasker-Schule in Friedrichshain, die um ein Vielfaches größer ist. Im Landwehr-Kasino feierte das alte Berlin einst glänzende Feste, entsprechend stabil ließen die Bauherren die Tanzsäle ausführen. Kaiser Wilhelm II. höchstpersönlich gab sich die Ehre, den Prachtbau am 2. September 1909 seiner Bestimmung zu übergeben.

Ballhaus, Tagungsgebäude, Versammlungsraum, Schießstand – das blieb das Landwehr-Casino lange Jahre. Nicht nur Militärs kamen hier zusammen, sondern etwa auch Namensforscher. 1935 ging hier die Gründung des Sippenverbandes Ziering-Moritz-Alemann über die Bühne, um „das Blut zu hüten“. Und am 18. Januar 1911 hatte man sich hier getroffen, um den „Deutschen Pfadfinderbund" zu gründen, an dessen Spitze Major Maximilian Beyer als „Reichsfeldmeister" gewählt wird – das Militärische lag eben doch recht nahe. Das blieb so in den 30er Jahren, als hier zu jedem Geburtstag Friedrich des Großen die uniformierten Träger des Ordens „Pour le Mérite“ zusammenkamen.

In den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges erlitt der Bau schwere Schäden – ebenso wie der militärische Ungeist von Größenwahn, Blitzkrieg und Kadavergehorsam. Bis 1949 bauten die Berliner das LandwehrCasino grundlegend um. 1954 triumphierte die Kunst erstmals über das Militär. Die Kunstbibliothek bezog ihr neues Domizil.

Die Entscheidung, nun Newtons Sammlung hierher zu holen, ist eine späte Genugtuung für den jüdischen Fotografen, der von hier aus 1938 ins Exil ging – zu einer Zeit, als im Landwehr–Casino noch Wehrmachts- und Nazigrößen feierten. Und vielleicht hat Newton dabei auch einen letzten Blick auf den Giebelspruch geworfen…

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