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Das Kammergericht musste zwei Häftlinge entlassen.

© picture alliance / dpa

Entlassene Sexualtäter in Berlin: Nicht nur der Richter hat geschlampt

Zwei gefährliche Männer kamen frei, weil das Gericht das Verfahren verschleppt hatte. Aber auch Gutachter und Mitarbeiter trugen zu der langen Fehlerkette bei. Nicht mal das Datum in der Akte stimmte.

Man kann es so hölzern ausdrücken wie das Kammergericht: „Zur Zeit kann dem Beschwerdeführer keine günstige Legalprognose gestellt werden.“ Man kann es aber auch einfach sagen: Die Möglichkeit, dass der Mann kriminell wird, ist relativ groß. Es ist einer der beiden Männer, die von diesem Kammergericht aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden sind. Die Folge von eklatanten Fehlern einer Strafvollstreckungskammer.

Was passiert jetzt? Müssen die Männer wieder in Sicherungsverwahrung? Das entscheidet jene Kammer, die gerade heftig kritisiert wurde. Allerdings hat sie nun einen neuen Vorsitzenden. Tobias Kaehne, Pressesprecher des Landgerichts, versichert: „Die Strafvollstreckungskammer wird die Fälle mit höchster Beschleunigung bearbeiten.“ Es gibt neue Anhörungstermine.

„Höchste Beschleunigung“ – das wäre neu. Bisher ist die Kammer bei diesen Fällen nur mit sehr bedächtiger Arbeitsweise aufgefallen. Sie, beziehungsweise ihr Vorsitzender, trägt zwar die Hauptschuld an der Panne, allerdings kamen andere Umstände dazu. Das ergibt sich aus dem Kammergerichts-Beschluss zu einem der Fälle.

Der Mann war 2008 zu sechseinhalb Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. In einem solchen Fall muss später geprüft werden, ob diese Zusatzzeit nach der normalen Haft nötig ist. Seit dem 8. Februar 2014 saß der Mann faktisch in Sicherungsverwahrung, ohne dass klar war, ob diese Maßregel nötig ist. Denn erst am 10. März 2015 entschied die Strafvollstreckungskammer – laut Beschlusskopf –, die Sicherungsverwahrung zu vollstrecken. Bis er vor einigen Wochen freigelassen wurde, hatte er bereits 15 Monate der „Haft nach der Haft“ abgesessen.

Gutachterin war drei Monate nicht zu erreichen

Die Chronologie: Am 6. März 2013 beantragte die Staatsanwaltschaft ein Prognose-Gutachten über den Gefangenen beim Landgericht. Zwei Wochen später wurde eine Gutachterin beauftragt, allerdings unterschrieben nur zwei der drei Richter, ein Formfehler, erste Panne, erste Zeitverzögerung. Erst am 10. April ging der korrekte Auftrag raus. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Verfahren bis zum 23. Oktober „nicht mehr gefördert“ (Kammergericht). Erst im November 2013 lag das Gutachten vor.

Danach sollte die Gutachterin angehört werden, doch die war dummerweise drei Monate lang nicht zu erreichen. Das Gericht beauftragte deshalb einen zweiten Gutachter. Der versprach zwar, in weniger als vier Monaten zu liefern, gab seine Expertise aber erst nach fünf Monaten ab. Und erst für den 12. September 2014 setzte das Gericht eine Anhörung an.

Spätestens unmittelbar danach, schreibt das Kammergericht, hätte aufgrund des Zeitdrucks „eine begründete und beschwerdefähige Entscheidung ergehen müssen“. Sie fiel am 27. Februar 2015 oder am 10. März 2015. Beide Tage waren in den Akten protokolliert. Nicht mal dieses Datum hatte die Strafvollstreckungskammer korrekt angegeben.

Die Gutachter hatten ihren Anteil an dieser Verzögerung, trotzdem: Die größten Fehler leistete sich das Gericht. Die Kammer ignorierte nicht bloß die Einwände der Verteidigung gegen die Sicherungsverwahrung, sie bearbeitete auch eine Untätigkeitsbeschwerde der Verteidigung erst mal nicht, „unter grober Missachtung der normierten Frist“ (Kammergericht).

Auch Staatsanwaltschaft musste warten

Die Verteidigung hätte sich daraufhin natürlich an das Präsidium des Gerichts wenden können, notfalls mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde. Es ist nicht bekannt, ob dies passiert ist. Auch die Staatsanwaltschaft musste warten. Zweimal forderte sie vom Gericht Akten an – vergeblich. Ob sie nochmal nachgefragt hat, ist nicht bekannt. Auch sie kann notfalls Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen. Eine entsprechende Anfrage blieb unbeantwortet.

Klar ist dagegen, dass der Vorsitzende Richter in dem Beschluss seiner Kammer die Verzögerung selbst mit „persönlicher und sachlicher Überlastung“ begründet hat. Doch das Kammergericht lehnte dies als vertretbare Entschuldigung ab. Der Vorsitzende Richter, argumentiert es nüchtern, hätte rechtzeitig eine Überlastungsanzeige schreiben müssen. Hat er aber nicht.

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