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Berlin: Nicht nur Trachten und Fahnen

Ein Besuch bei Vertriebenen vor dem „Tag der Heimat“

Von Sandra Dassler

Mit den Vertriebenen wollte Gilda Bereska nie etwas zu tun haben. „Wir haben ja in der DDR gelernt, dass das alles Revanchisten sind“, erzählt die Frau des Berliner Lyrikers und Polnisch-Übersetzers Henryk Bereska: „Doch 1996 erhielt mein Mann in Breslau den Kulturpreis Schlesien des Landes Nordrhein-Westfalen, und die Landsmannschaften waren alle da. Wir staunten, wie respektvoll gerade diese Leute von den Polen behandelt wurden.“

Den Grund für den Respekt erfuhren die Bereskas schnell: Viele Vertriebene engagieren sich in ihrer alten Heimat ehrlichen Herzens nicht nur für Gräberpflege. Sie sammeln Geld für soziale Projekte, unterstützen Kultureinrichtungen und helfen bei Naturkatastrophen wie dem Oder-Hochwasser.

„Die öffentliche Meinung über die Vertriebenen ist trotzdem noch immer eher negativ“, sagt Rüdiger Jakesch, der Vorsitzende des Berliner Landesverbandes und ehemalige Schöneberger Bezirksbürgermeister (CDU). „Oder man nimmt uns gar nicht zur Kenntnis, wenn nicht gerade der Bundespräsident eine Rede hält wie morgen am Tag der Heimat. Dabei bestehen 85 Prozent der ehrenamtlichen Arbeit unserer Mitglieder hier aus Beratungen und Hilfsangeboten für die Spätaussiedler aus Russland. 10000 Gespräche haben wir im vergangenen Jahr geführt – und das obwohl unsere Mitglieder immer weniger werden.“ Jakesch schätzt die Zahl der in Berlin noch organisierten Vertriebenen auf acht- bis zehntausend, nach Kriegsende sollen es mehr als eine Viertelmillion Menschen gewesen sein. Die meisten kamen aus Pommern, Schlesien und Ostpreußen. Während die Vertriebenen in anderen Orten oft auf die Ablehnung der Alteingesessenen stießen, waren sie in Berlin schnell integriert. Und akzeptiert. Berliner Bezirke übernahmen Patenschaften über Landsmannschaften: Steglitz über Ostpreußen, Charlottenburg über Pommern, Tiergarten über Oberschlesien.

Aber die Zeit verging und schon die zweite Generation, jene Kinder, die noch in der alten Heimat oder auf der Flucht geboren waren, wollten von der Vergangenheit nichts mehr wissen. Sie schüttelten die Köpfe über die Politik der Verbände, über die Aufmärsche, die Trachten, Fahnen und Lieder. Als die Regierung Brandt-Scheel ab Ende der 60er Jahre die neue Ostpolitik einleitete, verließen aus Protest dagegen auch zahlreiche bekannte Berliner Vertriebene die SPD. Dies trug noch mehr dazu bei, sie als Ewig-Gestrige zu betrachten: Die Patenschaften wurden abgebrochen, Zuschüsse gekürzt. Rüdiger Jakesch hat keine Illusionen: „Die Vertriebenen sterben aus, die dritte und vierte Generation hat kein Interesse mehr an Geschichte. Das Einzige, was wir erreichen können ist die Bewahrung unserer Kultur.“

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