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Berlin: Niedergang eines Hochhauses: Am Ende droht der Abriss

Steinplastiken vor dem Hochhaus erinnern an belebtere Zeiten: Kleine Skulpturen von rodelnden und Blumen pflückenden Menschen. Früher werden sich Familien in der Gaststätte im Parterre getroffen haben, heute ist sie geschlossen.

Steinplastiken vor dem Hochhaus erinnern an belebtere Zeiten: Kleine Skulpturen von rodelnden und Blumen pflückenden Menschen. Früher werden sich Familien in der Gaststätte im Parterre getroffen haben, heute ist sie geschlossen. Der Ort wirkt wie ausgestorben. Fast alle Scheiben des Wohnhauses in der Marchwitzastraße in Marzahn sind stumpf. Denn zwei Drittel seiner Bewohner haben die Koffer gepackt. Die Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG) erwägt, den Plattenbau abzureißen. Es wäre der erste Berlins.

Mit einem klapprigen Fahrstuhl geht es die 18 Stockwerke des Gebäudes hinauf. Von einem Balkon blickt man auf andere Plattenbauriegel Marzahns und auf eine Siedlung mit Einfamilienhäusern. In der Ferne lässt sich der Stadtrand erahnen. In den Fluren fallen einem grüne PVC-Böden mit Rautenmuster und abgeschabte, geblümte Tapeten auf. Neonröhren sind defekt. An den Decken haben sich Schimmelpilze gebildet. In Durchgängen stehen ausrangierte Möbel herum. Es riecht muffig. Renoviert wurde seit Jahren nicht mehr.

Im 12. Stockwerk hat jemand einen Sonnenaufgang an die Wand neben dem Fahrstuhl gemalt. An einer Wohnungstür klebt ein rechtsradikaler Aufkleber, an einer anderen wirbt einer für Frieden. An den Flurwänden haben längst fortgezogene Mieter Bilder aufgehängt: Tierposter, Fotos vom Alexanderplatz, von "Dresden - DDR" und vom Flughafen Schönefeld, auf dem noch Interflug-Maschinen zu erkennen sind. Kaum ein Klingelknopf ist beschriftet, ganze Flügel stehen leer. Hinter den Türen der 290 Wohnungen ist es gespenstisch still.

Hochhauswohnungen seien schwer zu vermieten, sagt WBG-Sprecherin Erika Kröbe, vor allem, wenn es sich um unsanierte Plattenbauten handle. Der Plattenbau sei eine Ausnahme, sagt Erika Kröber, von den etwa 40 Hochhäusern des Unternehmens seien nur drei nicht saniert. Ursprünglich habe man das Gebäude instand setzen wollen. Nun müsse es sich die WBG finanziell "konsolidieren". Die Sanierungspläne wurden gestoppt, den Mietern Ersatz angeboten. Vermietet wird nicht mehr. 80 000 Mark Betriebskosten fallen in den Betonriesen pro Monat an.

Ab und zu hört man Wasser rauschen und den Aufzug fahren. Irgendwo muss also Leben sein. Im 13. Stockwerk öffnet Bianka Linke die Tür. Sie "stört das nicht", dass sie mittlerweile fast allein auf ihrer Etage wohnt, sagt die 25-Jährige. Seit 22 Jahren lebt sie in Marzahn, seit sechs Jahren in der Zwei-Zimmer-Wohnung in dem Plattenbau. "Es ist zwar schade, dass das Haus nun abgerissen werden soll, aber was kann man dagegen schon sagen". Sie störe nur, dass Jugendliche das Treppenhaus mit Graffiti vollsprühen.

"Nach der Arbeit hab ich hier meine Ruhe", sagt der 48-jährige Jürgen Lemm drei Etagen tiefer. Eine "internationale" Mieterschaft habe das Hochhaus zuletzt bewohnt, "eine Menge Russen, Inder und Afrikaner". Vorwiegend Bewohner mit niedrigem Einkommen. "Die, die es sich leisten konnten, sind schon vorher ausgezogen". Dass das Haus so heruntergekommen ist, findet Lemm "nicht angenehm". "Aber in meiner Wohnung seh ich das ja nicht."

Die Nachbarschaft in Marzahn habe sich seit der Wende zwar verändert. Viele Besserverdienende seien weggezogen, zum Teil ins eigene Häuschen. Die sozialen Verhältnisse seien aber "stabil", sagt Kröber. In den WBG-Häusern wohnten überwiegend Angestellte. Den durchschnittlichen Leerstand von 13 Prozent in den rund 32 000 WBG-Wohnungen müsse man als "Achtungszeichen" sehen. Verelendungstendenzen wie in den Quartiersmanagement-Gebieten der Innenstadt zeichneten sich jedoch nicht ab.

Tobias Arbinger

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