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Nofretete: Umkämpfte Schöne

Nie sah Nofretete strahlender aus als jetzt im Neuen Museum. Doch der Direktor der Kairoer Altertümerverwaltung fordert sie heftigst zurück

Ihr selbst scheint die ganze Aufregung am wenigsten anzuhaben: Stoisch schaut sie geradeaus, verzieht keine Miene. Spurlos sind an ihr Jahrhunderte vorübergegangen. Auch der jüngste Streit, wem sie nun gehört, prallt an ihr ab. Nofretete, die Schöne vom Nil, die ägyptische Herrscherin bringt selbst 3500 Jahre nach ihrem Tod noch ganze Länder gegeneinander auf, zumindest beinahe. Erneut ist der Konflikt um die Büste der Pharaonengemahlin ausgebrochen.

Der Direktor der Altertümerverwaltung in Kairo, Zahi Hawass, fordert sie zurück, wenigstens als Leihgabe zur Eröffnung des neuen Nationalmuseums 2012. Nach dem Generaldirektor der Staatlichen Museen, Helmut Parzinger, und dem Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Michael Eissenhauer, hat sich nun auch der Kulturstaatsminister Bernd Neumann eingeschaltet und klipp und klar gegen eine Rückkehr der Büste ausgesprochen. Nofretete bleibt – bitteschön – da, wo sie ist. Der Antrittsbesuch von Friederike Seyfried, der neuen Direktorin des Ägyptischen Museums in Kairo, hatte für ein nochmaliges Aufflammen der Streitigkeiten gesorgt. Zwar war die Ägyptologin nur zum Gespräch über künftige Kooperationen bei Ausstellungen und gemeinsamen Projekten von Restauratoren angereist, aber Hawass nutzte sogleich die Gelegenheit, um auch Nofretete wieder ins Spiel zu bringen.

Vielleicht hat aber auch ihr neuer Standort die Begehrlichkeit des ägyptischen Altertümerchefs wiederholt entfacht. Nie sah sie schöner aus, nie näher und zugleich entrückter als im südlichen Kuppelsaal des Neuen Museums, in dem sie seit der Eröffnung des Hauses im Oktober zu sehen ist. Bereits 150 000 Besucher pilgerten an ihr vorüber, der berühmtesten Berlinerin, die es an Popularität mit der Mona Lisa aufnehmen kann. Nur für sie ist der oktogonale Saal mit seinen mattgrünen Wänden reserviert. Von oben, durch eine kreisrunde Öffnung in der Kuppel, fällt das Licht herab, als stände sie auf einer Theaterbühne. Zentimeter für Zentimeter schieben sich die Besucher an ihr vorüber, studieren – nur durch Panzerglasscheiben getrennt – unverwandt ihr Gesicht.

Die neue Präsentationsform hat eine gereifte Nofretete zutage gebracht. Das harte Licht enthüllt die bisher verborgen gebliebenen Alterungsspuren im Gesicht der Schönen: Ränder unter den Augen, nach unten weisende Mundwinkel sowie leicht eingefallene Wangen. Doch selbst diese Offenbarungen, die so manchen Nofretete-Liebhaber der Gegenwart in den ersten Tagen der Neupräsentation schockierten, tun der Attraktivität Nofretetes keinen Abbruch. Im Gegenteil: Gerade das Nicht-Perfekte, die Sichtbarkeit gelebter Jahre erhöhen ihren Reiz.

Dietrich Wildung, der als Direktor des Ägyptischen Museums die Einrichtung der Sammlung im Neuen Museum noch besorgte, bevor er die Geschäfte seiner Nachfolgerin Seyfried im August übergab, hat auf diese Weise bewusst die Alterungsspuren herausgekehrt, um Nofretete als Repräsentationsfigur der neuen Theologie ihres Mannes Echnaton vorzuführen. Echnaton hatte die zahlreichen Götter Ägyptens durch einen einzigen, Aton, den Gott der Sonne, ersetzt. Mit ihm ging ein Bekenntnis zum Diesseits, damit also auch zur Vergänglichkeit, einher.

So bleibt Nofretete, was sie seit ihrer Ankunft in Berlin war – eine Idealfigur, die Verkörperung weiblicher Schönheit, die durch die Verbindung aus ebenmäßigen Zügen, vollen Lippen, mandelförmigen Augen, zierlicher Nase und hochgezogenen Wangenknochen entsteht. Schon im Moment ihrer Entdeckung war den Ausgräbern klar, welch Ausnahmestück sie vor sich hatten. Ludwig Borchardt, der am 6. Dezember 1912 bei seinen Grabungen durch die Deutsche Orient-Gesellschaft im antiken Stadtareal von Achetaton bei der heutigen Stadt Tell el-Amarna auf sie stieß, vermerkte im Tagebuch: „Beschreiben nützt nichts, ansehen.“

Der Archäologe war auf die Bildhauerwerkstatt des Oberbildhauers Thutmosis gestoßen, die gemeinsam mit der Residenz nach dem Tod von Echnaton aufgegeben worden war und über 3000 Jahre unter Schutt gelegen hatte. Bei der auf diese Weise fast vollkommen unversehrt gebliebenen Büste Nofretetes handelt es sich also um ein Bildhauermodell. Deshalb besitzt sie auch nur ein Auge aus Wachs und Bergkristall, damit die Werkstattangehörigen an ihr den Arbeitsprozess nachvollziehen konnten. Der Kern der Figur ist aus Kalkstein gebildet. An den Schultern und auf der Krone wurden dicke Gipsschichten aufgetragen, um die Ideallinie zu erlangen.

Als im darauffolgenden Jahr, 1913, die Fundteilung zwischen der Ausgräbernation und dem Ursprungsland beschlossen wurde, wie es damals noch unter durchaus kolonialistischen Vorzeichen üblich war (heute verbleiben prinzipiell alle Funde im Lande), wurde Nofretete neben zahlreichen weiteren Objekten der deutschen Seite zugesprochen. Genauer: dem Berliner Kaufmann und Kunstmäzen James Simon (1851 bis 1932), der die Grabungskampagne finanziert und von der ägyptischen Altertümerverwaltung die Konzession erhalten hatte.

So gelangte Nofretete zunächst in den Besitz von James Simon und fand ihre erste Aufstellung auf dem Kaminsims in der Villa des Sponsors in der Tiergartenstraße. 1920 schenkte Simon sie dem Ägyptischen Museum, das die Büste in einem nachträglich ins Neue Museum eingefügten Amarna-Raum platzierte. In Erinnerung an diese noble Geste, aber auch in Dankbarkeit für manch andere großzügige Schenkung des Mäzens an die Staatlichen Museen (nach ihm soll auch der künftige Eingangstrakt des Neuen Museums von David Chipperfield benannt werden) steht heute in einer Nische des südlichen Kuppelsaals, unweit von Nofretete, die Bronzebüste des Gönners.

Die heutige Aufstellung von Nofretete im Neuen Museum kommt also einer Rückkehr gleich: Im Krieg musste sie in einen Bergwerksstollen im thüringischen Merkers verlagert werden, anschließend kam sie zum Central Collecting Point in Frankfurt, danach ins Landesmuseum Wiesbaden und von dort zunächst nach Berlin-Dahlem und schließlich ins Ägyptische Museum in Charlottenburg. Nach einer Zwischenstation im Alten Museum hat sie nun ihren endgültigen Platz im Neuen Museum gefunden, den sie wohl auch nicht so schnell verlassen wird.

Mag zuletzt auch von der Möglichkeit einer Leihgabe nach Ägypten die Rede gewesen sein, realistisch war dies wohl nie. Die fragile Gipsschicht rund um den Kalkkern der Büste erträgt keine Erschütterung, schon gar keine mehrstündige Reise. Allein der Umzug Nofretetes vom Alten ins Neue Museum, also letztlich nur über eine Straße hinweg, kurz vor Eröffnung des Hauses, war eine geradezu staatstragende, geheime, nächtliche Aktion, damit das kostbare Gut keinerlei Gefahren ausgesetzt war.

Sollte je Hoffnung auf einen Besuch Nofretetes in ihrer alten Heimat bestanden haben, so hat diese Zahi Hawass selbst zunichte gemacht durch sein aggressives Auftreten. Mit jedem weiteren zornigen Statement von ihm wächst die Sorge, dass die Büste nicht mehr zurückkehren könnte, im Lande behalten würde. Grundlage für Hawass’ Forderungen auf Rückgabe ist die angeblich illegale Ausfuhr Nofretetes. Die Deutschen hätten die 3400 Jahre alte Büste mit Lehm beschmiert und damit ihre Kostbarkeit verheimlicht, so glaubt der Ägyptologe. Gleichwohl hat er nie, wie schon mehrfach angekündigt, die Beweise dafür erbringen können, geschweige offiziell die Herausgabe gefordert. Von staatlicher Seite hält man sich in Kairo dieser Auseinandersetzung tunlichst fern. Dort gilt Nofretete als Ägyptens Botschafterin in Berlin. Wenn die Schöne dabei nicht doch ein winziges Mal geblinzelt hat.

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