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Berlin: Nur die Lage zählt

Manche Gegend ist im neuen Mietspiegel als Wohngebiet aufgewertet, manche herabgestuft worden. Wir haben uns umgesehen

Von Sandra Dassler

VERLIERER

Straße Am Tierpark in Friedrichsfelde

Wie Verlierer sehen sie ganz und gar nicht aus, und eigentlich fühlen sich Helga Ebert und Jürgen Papenfuß in ihrer Plattenwohnung Am Tierpark 76 auch sehr wohl. Im neuen Mietspiegel ist ihre Wohnlage von „mittel“ auf „einfach“ herabgestuft worden. „Wenn da jemand meint, das sei eine schlechte Wohnadresse, um so besser“, sagt Jürgen Papenfuß: „Da erhöhen sie wenigstens unsere Mieten nicht so schnell.“ Der 70-Jährige arbeitete früher beim Bezirksamt Marzahn. „Da war ich in fünf Minuten“, sagt er. Überhaupt wohne man hier – verkehrsmäßig gesehen – super günstig. Papenfuß zählt seine persönlichen Lagevorteile auf: „Eine Minute zu Lidl, zwei Minuten zu Aldi, dreißig Sekunden zur Straßen- und zur U-Bahn, zwei Minuten zur Sparkasse und zum Ärztehaus – altersgerechter geht es nicht.“

Tatsächlich wirkt die Straße Am Tierpark mit den vielen Supermärkten, Apotheken und Parkplätzen eher dynamisch. Zwar sehen einige Plattenbauten noch so aus wie bei ihrer Fertigstellung Mitte der 70er Jahre, aber das täuscht, versichert Jürgen Papenfuß: „Innen wurde schon viel saniert.“ Trotzdem zahle er für seine 54 Quadratmeter große Zweizimmer-Wohnung mit Balkon nur 322 Euro warm. „Was will der Mensch mehr?“ strahlt er: „Und vor allem fühlen wir uns hier wohl, weil wir von jeher zusammenhalten.“

Seine Nachbarin Helga Ebert nickt. Die 69-Jährige ist nach Fertigstellung des Hauses 1976 hier eingezogen. „Als die Wohnungen umgebaut wurden, sollten wir Container als Toiletten benutzen“, erzählt sie. „Na, denen haben wir was gehustet. Wozu hat man Nachbarn? Als meine Wohnung saniert wurde, bin ich zu Jürgen aufs Klo und als die Handwerken dann bei ihm waren, kam er zu mir.“

Die gute Nachbarschaft funktioniere heute noch, erzählen die beiden. Obwohl in den vergangenen Jahren nicht wenige Ausländer, meistens Russen, dazugekommen seien. Eine Dauerkarte für den gegenüber liegenden Tierpark haben die beiden auch.

Einige Häuser weiter wohnen die 69-jährige Erna Wickort und die 79-jährige Hanne-Lore Goldbach ebenfalls schon seit Mitte der 70er Jahre. Sie können kaum glauben, dass dies hier eine schlechte Adresse sein soll. „Im Haus gibt es extra Räume für Rollstühle, wir haben die beste Concierge von ganz Berlin“, erzählen sie. Ihre Concierge, Frau Schulz, ist nicht nur Pförtnerin, sondern Mädchen für alles. Sie besorgt Handwerker, kümmert sich um die Sicherheit und hört sich auch mal die Kümmernisse mit den Enkeln an.

GEWINNER

Christburger Straße in Prenzlauer Berg

„Was, unsere Straße soll eine der Gewinner im neuen Mietspiegel sein?“ Gonul Yolcu schüttelt den Kopf. Die hübsche Türkin hat in der Christburger Straße vor zwei Jahren Räume gemietet und einen kleinen Laden eingerichtet. Sie verkauft so ziemlich alles: Bier und Brötchen, Gemüse, Toilettenpapier. „Hier ist doch tote Hose“, sagt sie: „Die Parallelstraßen sind schöner, naja, und die ganze Gegend gilt eben als Aufsteiger-Bezirk.“

Auf den ersten Blick wirkt die Christburger Straße tatsächlich etwas trist: Unspektakuläre Altbauten, ein paar Baustellen, kaum Kneipen oder Geschäfte. Auf den zweiten Blick lassen die meisten Häuser allerdings erkennen, dass hier in den vergangenen Jahren viel saniert wurde. Auch deshalb gilt die Straße jetzt als „mittlere Wohnlage“.

Es gibt jede Menge Büroräume in den Erdgeschossen und wer hier arbeitet, freut sich über die „Aufwertung“ der Christburger Straße. Dass damit ihre Mieten steigen könnten, befüchten sie nicht. Geht ja um Wohnungen, meinen sie, nicht um Gewerberäume.

Im Hauseingang Nummer 7 steht Günter Römer und raucht. Er verwaltet die 21 Eigentumswohnungen hier seit 1996. Dass die Christburger zu den Aufsteigern zählt, weiß er noch nicht. Findet es aber großartig. „Da steigen die Wohnungen ja noch weiter im Wert“, freut er sich.

Die meisten Eigentümer haben die Wohnungen gleich nach der Sanierung vor elf Jahren erworben. Verkauft oder vermietet habe aber kaum einer seine Wohnung, erzählt Römer: „Die Fluktuation ist gering. Wenn einer wegzieht, dann meist, weil er in einer anderen Stadt arbeitet.“ Wer eine Wohnung bei Römer mieten will, muss momentan zwischen 6,80 und 7,20 Euro pro Quadratmeter zahlen – nicht zuviel, meint der Verwalter.

Doris Knie, die Mieterin in der Christburger Straße ist, zahlt für ihre 198 Quadratmeter-Wohnung rund 1000 Euro. Sie zieht in Kürze weg. „Nicht, weil es mir zu teuer, sondern weil es mir zu laut ist“, sagt sie. Aber es scheint doch so ruhig“. „Der Schein trügt“, sagt Frau Knie. Sie wohnt direkt neben einer Schule und einem Kindergarten, und sie ist Krankenschwester. Oft kommt sie spät in der Nacht nach Hause und mit Ausschlafen ist dann nichts, weil frühmorgens die Kinder lärmen. So unterschiedlich sind die Wahrnehmungen: Frank Petrov, ein 48-jähriger Arbeitsloser, findet es eher zu ruhig hier. „Und wenn das jetzt eine Feine-Leute-Gegend ist, dann werden die Mieten sicher auch bald teurer“, sagt er. Und grinst: „Aber bei mir zahlt das ja das Arbeitsamt.“

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