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Immer da. Späti-Besitzer Sahhüseyin Özer gehört für seine Kunden zum Leben im Kiez dazu. Doch sonntags müssen viele ihre Brötchen, Zeitung und Bier jetzt an der Tankstelle kaufen.

© Kai-Uwe Heinrich

Öffnungszeiten: Eine Berliner Institution - Spätis kämpfen um ihre Existenz

Nach dem Gesetz dürfen die meisten Spätis sonntags nicht öffnen - viele tun es trotzdem. Doch weil in Berlin-Neukölln nun verstärkt kontrolliert wird, geraten die Betreiber in Schwierigkeiten. Muss das Gesetz geändert werden?

Da hilft auch kein Klopfen. Die Rollläden vom Neuköllner „Laube Shop“ bleiben unten. Der Spätkauf, vor dessen Tür sonst die Stammgäste in der Sonne sitzen, hat an diesem schwülen Sonntag geschlossen. Die ganze Laubestraße liegt still und leer, nur am Polizeirevier direkt gegenüber fährt ein Auto vom Hof.

Ein paar Querstraßen weiter sind die mit Graffiti beschmierten Rollläden eines Spätis am Hermannplatz heruntergelassen, auch in der Sonnenallee, der Pannierstraße und der Weserstraße haben viele Spätis geschlossen.

Es ist ein für Berlin ungewöhnliches Bild, das der sonntägliche Spaziergang durch den Norden Neuköllns bietet. Geht es nach dem Gesetz, müsste es aber in ganz Berlin so aussehen. Denn sonntags dürfen nur Läden öffnen, die entweder Touristenbedarf verkaufen oder auch wochentags nur ein begrenztes Warenangebot haben: Blumen, Zeitungen, Backwaren und Milchprodukte.

Weil aber fast alle Läden Tabakprodukte und Alkohol im Sortiment haben, sollten sie eigentlich zubleiben. Dass das in Berlin kaum jemand weiß, liegt daran, dass sich kaum einer der etwa 1000 Spätis daran hält.

In Neukölln finden nun aber verstärkt Kontrollen statt. Sahhüseyin Özer, dem der „Laube Shop“ gehört, macht seit drei Wochen sonntags nicht mehr auf. Er ist schon mehrere Male für das Verkaufen am Sonntag angezählt worden und sollte Strafe zahlen. Özer ist sauer. „Eine meiner Stammkundinnen wollte letzten Sonntag bei mir eine Zeitung kaufen. Sie musste zur Tanke gehen!“

Spätis sind nicht einfach nur Läden

Die Spätis hier im Kiez sind nicht einfach nur Läden. Den Anwohnern sind sie Wohnzimmer, Stammkneipe und Tante-Emma-Laden in einem. So wie der Späti International in der Weserstraße. Wer unter der Woche vorbeikommt, trifft hinter der Kasse auf Mehmet Sevim. Der schmale junge Mann lächelt auf die Frage nach den Sonntagsverkäufen und ruft seine Frau an – „meine Chefin“, wie er sagt – und reicht das Telefon weiter.

Fatma Sevim lädt direkt zu sich nach Hause ein, die Familie wohnt um die Ecke. Sie empfängt im Wohnzimmer. Altbau, dicker Teppich, darauf Spielzeugautos.„Wenn es so weitergeht, müssen wir zumachen“, sagt sie. Die Sevims haben Schulden aufgenommen, um den Späti 2014 zu übernehmen, 1600 Euro zahlen sie zudem monatlich an Miete. Im Mai sah es besonders schlecht aus: Zu den Sonntagen kamen der 1. Mai, Himmelfahrt und Pfingsten. Acht Tage, an denen sie nicht öffnen dürften. Dabei, schätzt Sevim, macht der Laden an Sonn- und Feiertagen doppelt so viel Umsatz wie in der Woche.

Mehmet Sevim hat 2014 mit seiner Frau den Späti International übernommen.
Mehmet Sevim hat 2014 mit seiner Frau den Späti International übernommen.

© Kai-Uwe Heinrich

Aber trotz des Verbotes aufmachen? Seit die Sevims Anfang des Jahres zum ersten Mal Strafe zahlen mussten, trauen sie sich eigentlich nicht mehr. Schließlich sieht die Polizei an den hochgezogenen Rollläden sofort, wenn der Laden offen ist. Und je öfter man erwischt wird, desto höher wird das Bußgeld – zwischen 250 und 2500 Euro sind möglich. Im Kiez erzählen sie sich von einem, der letztendlich insgesamt 17.000 Euro Strafe zahlen musste. Zwei Spätis im Kiez droht die komplette Schließung. Das Ordnungsamt kann nämlich ein sogenanntes Gewerbeuntersagungsverfahren einleiten, wenn es immer wieder zu Verstößen kommt. Fatma Sevim regt das alles auf. „Wir sind doch nicht in Bayern“, sagt sie. „Da ist am Wochenende alles tot.“

Ähnlich sieht das Christina Jurgeit. Von der 28-Jährigen haben in den letzten Wochen viele Späti-Besitzer Besuch bekommen. Jurgeit hat auf change.org eine Petition gestartet, die fordert, dass alle Spätverkaufsstellen in Berlin mit Tankstellen und Bahnhofsläden gleichgestellt werden und so auch am Sonntag verkaufen dürfen. „Das Sonntagsverbot ist für viele existenzbedrohend“, sagt sie. Die Spätis versorgt Jurgeit mit Flyern und Plakaten, die auf die Online-Petition aufmerksam machen. 19.000 Unterschriften hat sie schon gesammelt. Bald will sie sich damit an die Politik wenden. Auch ein Volksbegehren hält sie für möglich.

Die Zahlen zeigen: Die Kontrollen haben zugenommen

Firat Yildiz hat schon zum zweiten Mal einen Bußgeldbescheid bekommen.
Firat Yildiz hat schon zum zweiten Mal einen Bußgeldbescheid bekommen.

© Kai-Uwe Heinrich

Besonders eng arbeitet Jurgeit mit Firat Yildiz zusammen, der um Ecke der Wohnung der Sevims seinen Laden hat. Der 28-Jährige freut sich über den Besuch, bietet Kaffee an. Unter den Späti-Besitzern hat sich herumgesprochen, dass eine Reporterin im Kiez unterwegs ist – während der Gesprächs klingelt Yildiz’ Handy zwei Mal. „Ja, sie ist schon da“, sagt er dann. Sie sind gut vernetzt, die Späti-Besitzer hier. Das hilft. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Yildiz. Er hat seinen Laden seit neun Jahren, viele seiner Kunden sind Stammkunden. Wenn die jetzt zu anderen Spätis gehen, tut ihm das weh. Vor zwei Wochen wurde Yildiz am Sonntag erwischt – zum zweiten Mal. „Das wird teuer.“

Dass sich die Kontrollen in Neukölln seit etwa einem halben Jahr häufen, das ist nicht nur ein subjektives Gefühl der Späti-Verkäufer. Aus dem Ordnungsamt Neukölln heißt es, dass es im Jahr 2014 172 Kontrollmaßnahmen durch Mitarbeiter des Ordnungsamtes gab, im Jahr 2015 waren es allein bis Ende März schon 108. Zusätzlich dazu hätten seit Ende vergangenen Jahres auch die Kontrollen durch die Polizeiabschnitte in Nord-Neukölln zugenommen. Diese überwachen die Spätis immer dann, wenn der Dienst der Mitarbeiter des Ordnungsamtes endet. Am Wochenende ist das um 19 Uhr.

Anders als in anderen Bezirken werden die Spätis in Neukölln nicht nur kontrolliert, wenn es Beschwerden gibt, sondern auch im Rahmen der normalen Streife. Wird ein Späti sonntags beim Verkaufen erwischt, zieht das Nachkontrollen mit sich, viele Spätis werden öfter angezählt. Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey betont, dass das keiner politischen Linie folge. „Wir haben uns intensivere Kontrollen bei Spätis nicht auf die Fahne geschrieben.“

"Aus meiner Sicht sind die Kontrollen ausreichend"

Trotzdem ist die Situation in anderen Bezirken viel entspannter. In Pankow etwa werden die gut 400 Läden, von denen sich ein Großteil in Prenzlauer Berg befindet, nur kontrolliert, wenn es Beschwerden beim Ordnungsamt gibt. „Aktuell liegen keine Beschwerden vor“, sagt Ordnungsstadtrat Torsten Kühne (CDU). „Eine flächendeckende Überwachung in allen Pankower Verkaufsstellen ist durch das Ordnungsamt Pankow auch nicht ansatzweise zu leisten.“

In Friedrichshain-Kreuzberg kontrollieren die Mitarbeiter ebenfalls nicht ohne konkreten Verdacht, sagt der dortige Ordnungsstadtrat Peter Beckers (SPD). Müsste es mehr sein? „Aus meiner Sicht sind die Kontrollen ausreichend.“ Bislang funktionierte in Berlin dieser Status quo: Das Gesetz bleibt gleich, Kontrollen finden kaum statt, sonntags kann verkauft werden. Doch weil man nun in Neukölln am Status quo rüttelt, werden wieder Forderungen nach einer Gesetzesänderung laut.

Schon 2012 diskutierte die SPD, ob man die Sonntagsöffnung der Spätis legalisieren sollte. Der Vorschlag wurde wieder verworfen. Auch der Pankower Ordnungsstadtrat Kühne befürwortete damals, dass das Berliner Ladenöffnungsgesetz geändert wird und „inhabergeführte Kleinverkaufsstellen für Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs“ am Sonntag öffnen dürfen. „Vielleicht ist jetzt die Zeit dafür reif“, sagt er. Auch Bezirksbürgermeisterin Giffey würde eine Liberalisierung des Ladenöffnungsgesetzes für die Spätis befürworten. Doch das sei nicht die Sache der Bezirke. Landesweit hält sich die Lust auf eine Gesetzesänderung in Grenzen. Der Berliner Staatssekretär für Arbeit, Boris Velter, sagt: „Die Rechtslage ist ausgewogen. Wir sehen keinen Änderungsbedarf.“

Jeden Sonntag Strafe? Lohnt sich trotzdem

Und so finden die Späti-Besitzer ihre eigenen Wege, mit dem Gesetz umzugehen. Manche dunkeln ihren Laden ab, andere reagieren nur auf Klopfen oder ziehen die Rollläden nur halb hoch, um bei Besuch von Polizei oder Ordnungsamt schnell schließen zu können. Ein Späti-Besitzer in der Sonnenallee verrät, dass er jeden Sonntag offen hat und jeden Sonntag Strafe zahlt. Für ihn lohnt sich das Geschäft trotzdem. Wenn die Polizei kommt und ihn zum Schließen auffordert, macht er einfach eine Stunde später wieder auf. Sahhüseyin Özer macht nichts davon. Er hat Angst um seine Gewerbeerlaubnis. Aber wenn er weiter per Gesetz sonntags nicht öffnen kann, wird er seinem Bruder, der im Laden arbeitet, kündigen müssen.

Die Petition von Christina Jurgeit zu den Spätis finden Sie hier.

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