zum Hauptinhalt
"Rechte Gewalt kann jeden treffen" steht in Berlin auf einem Aufsteller geschrieben.

© picture alliance / dpa

Opfer rechter Gewalt: Mehr Tote durch Rechtsextremismus in Brandenburg

Rechte haben in Brandenburg seit der Wiedervereinigung 18 Menschen umgebracht. Das sind doppelt so viele, wie die Polizei offiziell vermeldet hat. Dies ergab eine Untersuchung der Universität Potsdam.

Von Frank Jansen

In Brandenburg sind nach Informationen des Tagesspiegels seit der Wiedervereinigung mehr Menschen bei rechten Angriffen gestorben als offiziell vermeldet. Die von der Polizei bislang genannte Zahl von neun Todesopfern rechter Gewalt verdoppelt sich auf 18. Das ergab eine zweijährige Untersuchung des Moses Mendelssohn Zentrums (MMZ) der Universität Potsdam. 2013 hatte der damalige Innenminister Dietmar Woidke (SPD), heute Ministerpräsident, ein Forschungsprojekt zur „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ in Auftrag gegeben.

Die Untersuchung ist die umfangreichste in einem Bundesland zur Diskrepanz zwischen offiziellen Zahlen zu Todesopfern rechter Gewalt und den Erkenntnissen des Tagesspiegels sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die Wissenschaftler des MMZ untersuchten 24 Fälle und sichteten Akten von Polizei und Justiz sowie Berichte aus den Medien und zivilgesellschaftlicher Organisationen. Die meisten Fälle hatte der Tagesspiegel in gemeinsamen Recherchen mit der „Frankfurter Rundschau“ und später mit der „Zeit“ sowie dem Potsdamer Verein Opferperspektive aufgelistet.

Neun Täter hatten ein rechtes Motiv

Das MMZ beriet sich zudem mit Fachleuten, darunter Experten des Innenministeriums und der Polizei, Brandenburgs Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg und dem Verein Opferperspektive. Im 193-seitigen Abschlussbericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, kommt das MMZ zum Ergebnis, dass in neun der 24 Fälle die Täter ein rechtes und damit politisches Motiv hatten, als sie ihre Opfer erschlugen oder auf andere Weise töteten. Das MMZ betont, auch in den meisten anderen Fällen könne „ein rechtsextremes oder rassistisches Motiv“ nicht ausgeschlossen werden.

Zu den Verbrechen, die nach Ansicht des MMZ neu bewertet werden müssen, zählt auch der erste tödliche Angriff von Rassisten nach der Wiedervereinigung. Am 7. Oktober 1990 verprügelten drei Schläger in Lübbenau den Polen Andrzej Fratczak. Einer der Täter stach auch mit einem Messer auf Fratczak ein. Das Opfer wurde am nächsten Morgen tot aufgefunden. Das Bezirksgericht Cottbus verurteilte die Täter nur wegen gefährlicher Körperverletzung. Auf ein mögliches rassistisches Motiv gingen die Richter im Urteil nicht ein, obwohl ein Schläger bei der Tat ein T-Shirt mit Hitler-Bild trug.

Bei fünf Verbrechen ist Motiv unklar

In sechs Fällen meint das MMZ, die Täter seien rechtsextrem gewesen, dennoch könnten die Taten nicht als politisch motiviert gewertet werden. Ein Beispiel: Im August 1994 überfielen vier Skinheads in Velten den Kraftfahrer Gunter Marx. Die Täter wollten Geld. Als Marx sagte, er habe nichts, schlug ein Skinhead ihm so heftig auf den Kopf, dass Marx starb. Auch wenn das Delikt nicht politisch motiviert war, gebe es bei zwei Tätern deutliche Hinweise auf rechte Einstellungen, schreibt das MMZ. Es sei durchaus denkbar, dass die Brutalität „auf eine rechtsextreme Gesinnung der Täter zurückzuführen ist beziehungsweise mit ihr korrespondiert“.

Bei fünf Tötungsverbrechen konnten die Wissenschaftler nicht klären, ob ein politisches Motiv vorlag oder nicht. In vier Fällen ist das MMZ sicher, dass die Angriffe nicht als rechts eingestuft werden können – und die Täter auch nicht.

Auch Sachsen-Anhalt prüft Altfälle

Den Abschlussbericht des MMZ werden Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) und der Direktor des Zentrums, Julius Schoeps, am Montag in Potsdam vorstellen. Offen bleibt, ob das Ministerium alle neun Fälle, die das MMZ nun anders bewertet als die Polizei, auch als politisch motivierte Tötungsverbrechen dem Bundeskriminalamt (BKA) meldet. Das BKA spricht bislang, gestützt auf die Meldungen der Bundesländer, von 64 Todesopfern rechter Gewalt seit der Wiedervereinigung. Der Tagesspiegel kommt auf 153 Tote.

Nach dem Ende der Terrorzelle NSU und dem Schock über die von ihr begangenen zehn Morde hatte auch Sachsen-Anhalt Altfälle geprüft. Von neun Verbrechen, die der Tagesspiegel genannt hatte, wurden im Mai 2012 insgesamt drei dann doch als rechts motiviert eingestuft.

Zur Startseite