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Berlin: Otto im Nebel

Nur noch bis Sonntag: Kunst trifft Fußball bei der Ausstellung „Rundlederwelten“ im Gropius-Bau

Längst ist die Fußball-WM entschieden – nur hat das außer der ganz in weiß gekleideten Dame im „Büro der Desinformation“ niemand mitbekommen. Ungläubig starren die Besucher auf die Wand, wo der Turnierverlauf aufgezeichnet ist. Deutschland, steht da, gewinnt das Endspiel gegen Argentinien 3:2.

Das „Büro“ ist ein Herzstück der Ausstellung „Rundlederwelten“, die am Sonntag endet. Nicht um eine Bilderschau ging es im Martin-Gropius-Bau, sondern um grenzüberschreitende Begegnungen: Kunst trifft Fußball, Körper trifft Geist – auf diesen Nenner lassen sich die 200 Werke bringen, die seit Oktober zu sehen sind. Sogar der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder verewigte sich im „Büro“: Die drei deutschen Treffer im fiktiven Finale hatte Künstler Michael Staab vorgegeben, Schröder krakelte eine „Zwei“ auf argentinischer Seite hinzu. Das bot Diskussionsstoff über den Fußball hinaus. „Persönliche, manchmal auch dadaistische Gespräche“ habe sie geführt, erzählt die Schauspielerin, die am Empfang sitzt. Ein Argentinier wurde dabei so intim, dass er seine Leoparden-Unterhose präsentierte. Die meisten der 35 000 Besucher hielten sich da bedeckter. „Für eine zeitgenössische Kunstausstellung kann man mit dieser Zahl sehr zufrieden sein“, sagt Agnes Wegner von der Kulturstiftung des Deutschen Fußball-Bundes. Die Stiftung hat den Auftakt zum kulturellen Rahmenprogramm der WM organisiert.

Wie nah Kunst und Leben beieinander liegen, beweisen die Reaktionen auf die Installation „Berlin – Barcelona“ von Ann Veronica Janssens. Auf zwei Videoleinwänden zeigt die Künstlerin die Partie Hertha BSC gegen FC Barcelona vom November 1999. „Spiel im Nebel“, könnte das Werk auch heißen, nur schemenhaft sind die Akteure zu erkennen. Leise stöhnt ein Hertha-Fan, der das verschwommene Gestocher noch einmal durchleidet. „Das war furchtbar“. Bei vielen Besuchern, die das Spiel im Stadion gesehen hatten, kamen solche Emotionen hoch. „Interessant, dass sie den Unterschied zwischen Fiktion und Realität gar nicht wahrgenommen haben“, sagt Wegner. Eigentlich spiele das Werk ja darauf an, wie wir alle im Nebel stochern, nicht wissend, wo das Ziel ist. Erkannt hat das der kunst- wie fußballverständige Otto Schily. „Ja, das ist es!“, entfuhr es dem ehemaligen Bundesinnenminister.

Der Titel der Ausstellung täuscht. Lederbälle vermisst der Betrachter. Immerhin darf mit Gummibällen auf Torwände geschossen werden. Schulsenator Klaus Böger traf vor den Augen einer Schulklasse gleich beim ersten Mal. Für den Moment hatte er damit ein paar Fans gewonnen. Die kleinen Gäste waren ohnehin angetan vom Praxisteil. Der Rest wird im Gästebuch kontrovers diskutiert: Praktische Erwägungen („Wo bleibt der Bierwagen?“) finden sich neben vernichtenden Kommentaren („Kein Geld für Jugendprojekte – aber so was!“) und Glücksmomenten. „Jetzt will mein Schatz auch zum Fußball“, schrieb ein Mann.

Wer sich selbst ein Bild machen will, muss sich beeilen. Denn auf die am häufigsten gestellte Frage gibt es eine klare Antwort: Die „Rundlederwelten“ werden an keinem anderen Ort zu sehen sein.

Rundlederwelten: Samstag und Sonntag 10 - 20 Uhr; Eintritt 6 €, ermäßigt 4€

Jens Poggenpohl

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