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Berlin: Pankow: Waisenhaus, Botschaft, Bibliothek

"Gib niemals auf": Dies sollte nach den Worten Andreas Nachamas eine der Lehren aus dem jüngsten Kapitel der wechselvollen Geschichte des einstigen jüdischen Waisenhauses sein. Gestern wurde das Gebäude in der Berliner Straße feierlich wiedereröffnet.

"Gib niemals auf": Dies sollte nach den Worten Andreas Nachamas eine der Lehren aus dem jüngsten Kapitel der wechselvollen Geschichte des einstigen jüdischen Waisenhauses sein. Gestern wurde das Gebäude in der Berliner Straße feierlich wiedereröffnet. Künftig soll es die Stadtbibliothek, die Schwesternschule des Diakonischen Werks und eine Suchthilfeeinrichtung beherbergen. Nachama, bis vor kurzem Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, richtete seine Worte vor allem an jene Gäste, denen dieses Haus einmal ein Zuhause war. 20 ehemalige Zöglinge saßen während im überfüllten einstigen Betsaal, der künftig der Erforschung und Erinnerung jüdischen Lebens und Erbes dienen soll.

1912 war das Haus für jüdische Waisenkinder an der Stelle errichtet worden, wo bereits seit 1882 ein Waisenhaus gestanden hatte. Bis zu 100 Kinder lebten hier. Schon seit 1933, so berichtete die Historikerin Inge Lammel aus dem Vorstand des erst im vergangenen Jahr gegründeten Fördervereins für das jüdische Waisenhaus, kam es durch die Nazis zu ersten bedrohlichen Situationen. 1938 wurden die untersten Etagen verwüstet. Damals ließen sich die Täter nach Berichten früherer Heimbewohner noch einmal durch das ruhige und beherzte Auftreten des Lehrers Heinz Nadel von Schlimmerem abbringen. Doch 1940 vertrieben die Nazis die Bewohner, von denen viele in Vernichtungslager kamen. Ins Haus zog das Reichssicherheitshauptamt ein.

Für die meisten Pankower aber wird der imposante Bau nahe dem S- und Bahnhof als zunächst polnische Botschaft (1949 bis 1971), dann als die kubanische Vertretung in Erinnerung geblieben sein. Nach dem Mauerfall stand das Gebäude fast zehn Jahre leer. 1999 wurde es von der Walter-und Margarete-Cajewitz-Stiftung gekauft, die es dann sanieren ließ. "Als ich das erste Mal herein kam", erinnerte sich Nachama, "da hing hier ein Wust von Kabeln aus der Decke, an denen zu erkennen war, dass die Menschen hier abgehört wurden." Die Kubaner, so wissen die wenigen, die das Gebäude in dieser Phase betreten haben, hatten die Decke des Betsaales abgehängt, ihn mit kleinen Schalterkabinen für die Beamten der Visastelle bestückt. Doch auf diese Weise ist auch ein letztes Element des Saales erhalten geblieben, den der jüdische Besitzer der benachbarten Zigarettenfabrik, Josef Garbáty, dem Neubau des Waisenhauses seinerzeit gestiftet hatte: die mit kunstvollen Bemalungen verzierte Kassettendecke. Arg ramponiert ist sie jetzt wieder zu sehen. So mancher Blick schweifte während der Feierlichkeiten zu ihr hinauf. Jetzt soll sie mit Lottogeldern renoviert werden.

Die 20 ehemaligen Zöglinge unter den Gästen waren eigens sogar aus den USA oder Argentinien angereist, wohin sie ihre Flucht vor den Nazis verschlagen hatte. Für sie war die Rückkehr an diesen Ort ihrer Kindheit Anlass zu guten wie schlechten Erinnerungen. "Das hängt davon ab, wie der Einzelne die Zeit des Nationalsozialismus erleben musste", sagte Leslie Baruch Brent. Er selbst erinnerte sich auch ganz unfeierlich an Kinderspiele und Streiche. Doch "die meisten von uns konnten nicht flüchten und haben nicht überlebt".

Ole Töns

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