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Berlin: PDS sagt Grünen den Kampf an

Sozialisten wollen „Teflon-Partei, an der nichts hängen bleibt“ entzaubern

Von Sabine Beikler

Früher warf Joschka Fischer Steine und Dieter Kunzelmann Eier. Legendär der Auftritt des früheren Mitglieds des Grünen-Vorläufers Alternative Liste (AL) vor Gericht, als er ein Ei auf dem Kopf des damaligen Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen platzierte, begleitet mit den Worten „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann“. Inzwischen ist aus der Sponti-Partei mit dem Igel eine verantwortungsbewusste, soziale, zukunftsorientierte, bürgernahe und fleißige Partei geworden. Das ergab eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Grünen, die vor knapp einem Jahr vorgestellt worden war. Erst bei der Europawahl im Juni hat die Öko-Partei in Berlin und anderen Städten die Zwanzig-Prozent-Marke übersprungen und die SPD überholt. Die Grünen, die vor über 25 Jahren als dogmatische, etwas wirre Truppe die politische Bühne betreten haben, sind auf dem Weg zu einer urbanen Volkspartei.

Wahlerfolg und Stimmungshoch der Grünen macht die PDS immer nervöser. Auch wenn die Sozialisten mit 14,4 Prozent bei der Europa-Wahl im Vergleich zur Wahl 1999 nur zwei Prozentpunkte einbüßen mussten, kündigt die PDS jetzt eine schärfere Gangart im linken Lager an, um zu den Grünen gewanderte und mit Rot-Rot unzufriedene Wähler wieder einzufangen. Der Ton zwischen Dunkelrot und Grün wird sich deutlich verschärfen. „Wir werden die Grünen entzaubern“, sagte PDS-Landeschef Stefan Liebich dem Tagesspiegel.

Es ärgert die Sozialisten – und heimlich auch die Richtung Bund fast verstummte Landes-SPD – immer mehr, dass die Berliner Grünen sich nach ihrer Auffassung aus der Mitverantwortung für die Bundespolitik herausmogeln. Verabschiedet Rot-Grün das Hartz-IV-Gesetz mit harten Konsequenzen für die Länder, werfen die Berliner Grünen dem Senat umgehend Tatenlosigkeit vor. Oder der Streit um den Standort des Bundesnachrichtendienstes (BND): Auf rot-grüner Regierungsebene hatte man sich für das Gelände des ehemaligen Stadions der Weltjugend ausgesprochen, während die Landes-Grünen für Alternativen plädieren. „Das ist unredlich. Die Grünen waschen hier ihre Hände in Unschuld und stehlen sich aus der Verantwortung für die Bundespolitik“, sagte Liebich. Die Grünen seien eine „Teflon-Partei, an der nichts hängen bleibt“. Das wolle man ändern.

Die Grünen haben vor dieser Offensive keine Angst. „Dem sehe ich sehr gelassen entgegen“, sagte Fraktionschef Volker Ratzmann. Im Gegensatz zur PDS zeigten die Grünen Gestaltungswillen ohne ideologische Barrieren. Jüngste Umfragen sprechen jedenfalls gegen eine „Grünen-Entzauberung“. Über 71 Prozent aller Grünen-Anhänger zählen laut Forsa zu den „Realos“, sind jung, gebildet, gut situiert, und überdurchschnittlich viele gehören zu den „Postmaterialisten“: Menschen, die Parteien mehr nach Werten wie Frieden, Demokratie, Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und weniger nach steuerpolitischen Aspekten wählen. Von solchen Wählern kann die PDS nur träumen: Grünen-Wähler haben mit sozialen Einschnitten weniger Probleme, weil sie im Durchschnitt besser verdienen – und Themen intellektueller behandeln.

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