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Auf der Besucherritze. Die neuen Schalensitze in der U-Bahn bieten einen gewöhnungsbedürtigen Komfort. Wer Pech hat, der bekommt die Kante zwischen den Schalen zu spüren, wie diese beiden Herren demonstrieren.

© Kai-Uwe Heinrich

Pläne der BVG: U-Bahnen bekommen Schalensitze

Die BVG will die U-Bahn mit Hartschalensitzen ausstatten. Der Fahrgastverband lehnt das ab, weil diese zu unbequem seien. Doch Fahrgäste waren in Berlins Zügen Anfang des 20. Jahrhunderts schon ganz anderes gewohnt.

Am Anfang war die Zwei-Klassen-Gesellschaft: Es war um 5.26 Uhr des 18. Februar 1902, als die erste reguläre U-Bahn-Fahrt Berlins am Bahnhof Stralauer Thor in Richtung Potsdamer Platz begann, noch nicht im Untergrund, sondern auf der neuen Hochbahnstrecke. Schon aus der Ferne war zu erkennen, dass Passagier damals nicht gleich Passagier war. Es gab die Wagen der 3. Klasse (oben weiß, unten gelb) und die der 2. Klasse (weiß/rot). Um aber den entscheidenden Unterschied zu spüren, musste man mitfahren, was angesichts der in den ersten Tagen verdreifachten Preise weit weniger Berliner taten als erwartet: Die bessere und teurere Klasse verfügte neben Vorhängen zum Schutz gegen die Sonne auch über gepolsterte Sitze.

Aus historischer Sicht bedeuten die aktuell wieder diskutierten Pläne der BVG für die U-Bahn also einen Rückschritt von der 2. in die 3. Klasse, und diesmal ohne Rücksicht auf Standesschranken: Wie berichtet, hat der Fahrgastverband Igeb seine Liebe zum traditionellen Polstersitz erklärt und lehnt den Austausch gegen unbequemere Hartschalensitze strikt ab. Die Aktion läuft schon eine ganze Weile: Nach einem ersten Testlauf sah die BVG bereits 2007 „einen großen Erfolg“, dehnte den Versuch auf 20 Wagen aus, die derzeit auf der U 7 zwischen Spandau und Rudow eingesetzt werden. Statt Hartschalensitzen mit gesäßfreundlicher Polsterung erwartet den Fahrgast nun Hartschale pur, zudem an den Übergängen zwischen den Einzelsitzen leicht hochgezogen. Das wird als verbesserter Seitenhalt angepriesen, könnte aber von Menschen, die in der entsprechenden Körperregion etwas ausladend gebaut sind, als störend empfunden werden.

Die BVG verspricht sich vom Schalenmodell vor allem eine Eindämmung der Vandalismusschäden, die sich allein bei den U-Bahn-Sitzen auf eine Million Euro jährlich belaufen, wie BVG-Sprecher Klaus Wazlak erläutert. Die Kunststoffbezüge der Polstersitze seien leicht zu beschädigen, die Schalensitze dagegen stabil und gut zu reinigen. In Umfragen hätten sich gerade Frauen positiv über die neuen Sitze ausgesprochen, da sie einen gewissen Abstand zum Nachbarn gewährten. Sie würden auch als hygienischer empfunden. Zudem sei die Reisedauer bei der U-Bahn in der Regel eher gering, und im Winter sitze man ohnehin durch die dicke Kleidung weicher. Also geht es mit der Umrüstung weiter: Bis 2020 sollen von den 1200 U-Bahnwaggons der BVG 300 mit Hartschalensitzen ausgerüstet sein, teils durch Neuerwerbungen, teils bei der Komplettrenovierung von vorhandenen Waggons, im U-Bahner-Jargon „Ertüchtigung“ genannt. Die Igeb dagegen lehnt die Dinger ab. Zu unbequem, schimpft Jens Wieseke, der stellvertretende Vorsitzende. Und egal, ob die Fahrt kurz oder lang sei: Man sitze auf der glatten Kunststoffoberfläche nicht stabil, was besonders beim Anfahren und Bremsen lästig sei.

Überhaupt nicht verstehen kann der Igeb-Mann, dass die BVG einerseits bei neuen Zügen eine Klimaanlage einbauen lassen wolle, auf der anderen den Fahrgästen aber den harten Sitz zumute. Die Klimaanlage könne die Temperatur ohnehin nur um zwei oder drei Grad senken, das Schwitzen auf den Hartschalensitzen im Sommer verhindere dies nicht. Doch egal ob man kuschelig oder robust bevorzugt: Dem Nutzer des Nahverkehrs in Berlin sind schon ganz andere Härtegrade zugemutet worden. Noch im guten Gedächtnis sind die Holzbänke der uralten, aus den zwanziger in die neunziger Jahre hinübergeretteten S-Bahn-Waggons: Holzklasse für jedermann, von allen geliebt, und sie haben nicht mal geknarrt. Als die letzten dieser Züge ausgemustert wurden, gab es sogar Forderungen, neue Fahrzeuge im alten Stil auszurüsten. Probeweise wurde ein S-Bahn-Zug mit einer modernen, doch hölzernen Variante ausgestattet, was die Fahrgäste aber nicht überzeugte, wie S-Bahn-Sprecher Ingo Priegnitz sich erinnert. Der Versuch wurde danach beendet. Heute haben die meisten Sitze in den Berliner S-Bahnen gepolsterte, sogar mit Stoff bezogene Sitze, was „den heutigen Komfortvorstellungen unserer Fahrgäste“ entspricht, wie Priegnitz sagt. Veränderungen seien hier nicht vorgesehen.

So bleibt dem Fahrgast also auf lange Sicht die Alternative: Stoffpolster oder Hartschale. Vielleicht tröstet es ihn ja, wenn er sich auf die fürs Auto angebotenen Sitzvarianten besinnt: Hart gilt da als teuer und sportlich.

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