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Berlin: Politik? Bloß nicht!

Eine junge Israelin und eine junge Palästinenserin überwinden den Hass – und bekamen dafür gestern Abend im Schauspielhaus die Quadriga, den Preis zur deutschen Einheit

Eigentlich leben sie in verschiedenen Welten: die muslimische Palästinenserin Amal Rifa’i in Ostjerusalem, und die israelische Jüdin Odelia Ainbinder in Westjerusalem. Die beiden haben es trotzdem geschafft, einander kennen zu lernen, sich anzufreunden und zusammen mit der Journalistin Sylke Tempel ein Buch zu schreiben.

Wie weit sind eigentlich ihre Wohnungen voneinander entfernt? „Fünf Minuten mit dem Auto“, sagt Odelia prompt. „Nein sieben Minuten“, verbessert Amal lächelnd. „Vergiss den Verkehr nicht.“ Amal mit den warmen brauen Augen und dem runden Gesicht wirkt zunächst weiblicher, sanftmütiger als Odelia mit dem krausen Pferdeschwanz und ihrer burschikosen Art. Aber im Laufe des Gesprächs wird deutlich, dass Amal sehr beharrlich ihre Ansichten verteten kann und Odelia ihre weichen und scheuen Seiten hat.

Die 19-Jährigen waren die jüngsten Preisträgerinnen bei der feierlichen Verleihung der „Quadriga“, die gestern abend aus Anlass des Tages der Deutschen Einheit zum ersten Mal mit 1600 Gästen im Schauspielhaus stattfand.

Unter denen, die für ihr gesellschaftspolitisches Engagement ausgezeichnet wurden, waren auch Sir Norman Foster und Armin Mueller-Stahl. Der Schriftsteller Sayed Kashua und der Vize-Präsident der Universität Tel Aviv, Avi Primor, hatten die Laudatio für die 19-jährigen Mädchen verfasst.

Die beiden kennen sich, seit sie vor vier Jahren gemeinsam an einer Child-Peace- Reise in die Schweiz teilgenommen haben. Sie mochten sich auf Anhieb, aber es war schwierig, zusammen zu kommen, weil es zwischen ihren Gruppen heftige Auseinandersetzungen gab.

Sie sprechen nicht nur über Politik. Amals Hochzeit im Juni war ein großes Thema, wieder und wieder betrachten sie die Fotos. Und natürlich haben sie sich ausgiebig Gedanken gemacht, was sie zur Quadriga-Gala anziehen sollen. Ist das ihr erster Preis? „Abgesehen von den Oscars, ja“, sagt Odelia ironisch. „Wenn Sie uns weitere geben wollen, nur zu“, präzisiert Amal. Inzwischen haben sich auch ihre Eltern angefreundet. Amals Vater ist Bauingenieur, Odelias Vater Computerexperte, und bei der Vorbereitung der komplizierten Reise nach Berlin sind sich die Familien näher gekommen. Amal hatte ein Pass-Problem. Odelia ist seit dem 11. September bei der Armee und konnte nicht so einfach frei bekommen. Amal hat natürlich ein Problem damit, dass ihre Freundin bei der Armee ist. Sie muss an die Soldaten denken, die ihren Brüdern freitags manchmal willkürlich den Zugang zur Moschee verweigern: „Der eine darf beten der andere nicht.“ „Das macht mich auch ärgerlich“, murmelt Odelia leise. Auf die Frage, ob sie religiös ist, schüttelt sie den Kopf: „Nein, gar nicht.“ Amal findet sich selber „nicht sehr religiös“, geht aber in die Moschee.

Ja, die Auszeichnung bedeutet ihnen etwas. „Viele Menschen urteilen zu rasch über Krisengebiete, die weit weg sind. Vielleicht zeigen wir ja, dass es Hoffnung gibt für eine bessere Zukunft.“

Amal hat früher in einer Theatergruppe mitgespielt und studiert seit einiger Zeit Sonderpädagogik, Odelia, träumt davon, ein Straßentheater zu gründen. Würde sie Amal eine Hauptrolle geben? „Sie müsste zum Casting kommen“, sagt Odelia mit sehr professionellem Gesichtsausdruck.

Immer wieder verbessern sich die beiden gegenseitig, aber auf eine Frage antworten sie einstimmig, fast erschrocken. Wollen sie später mal in die Politik gehen? „Nein!“, sagen sie. „Bloß nicht. Man sieht doch, was Politik bewegt: gar nichts.“ Sie wollen die Zukunft von der Basis aus gestalten, nicht von der Spitze aus.

Vielleicht musste deshalb der Beifall für die beiden gerade am Tag der deutschen Einheit besonders herzlich ausfallen.

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