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Berlin: Potsdams Jahrhundertschritt

Mäzen Hasso Plattner holt für seine Sammlung eine spektakuläre Bronzeplastik Mattheuers wichtige DDR-Skulptur soll vor seiner Kunsthalle stehen.

Potsdam - Ob es für Potsdam ein Jahrhundertschritt wird, muss sich noch erweisen – aber ein gewaltig großer wird es gewiss: Der Software-Unternehmer und Mäzen Hasso Plattner hat nach eigenen Angaben für seine Sammlung ostdeutscher Kunst der vergangenen 60 Jahre ein bedeutendes Werk angekauft: Wolfgang Mattheuers „Jahrhundertschritt“ – eine der bekanntesten in der DDR geschaffenen Skulpturen. Plattner kaufte für seine im Aufbau befindliche Potsdamer Sammlung eine monumentale Variante des „Jahrhundertschritt“. Statt zweieinhalb Meter wie die anderen Exemplare ist Plattners Mattheuer fünf Meter hoch.

Die Skulptur soll zusammen mit den bisher 30 Gemälden ostdeutscher Maler, die er inzwischen für seine Sammlung erworben habe, so schnell wie möglich ausgestellt werden, so Plattner am Donnerstag gegenüber dem Tagesspiegel. Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs nannte auf Anfrage Ort und Termin: vom 22. Juli bis zum 16. September im Haus für Brandenburgisch-Preußische Geschichte (HBPG) am Neuen Markt. Jakobs hatte mit Experten und Plattner binnen einer Woche einen Ausstellungsort gesucht. Jakobs sagte, die Potsdamer bekämen so frühzeitig einen Eindruck davon, „was in einer von Professor Plattner erbauten Kunsthalle künftig zu sehen sein könnte“.

Unter den Gemälden sind, wie berichtet, neben Werken von Mattheuer auch Bilder bekannter DDR-Maler: Bernhard Heisig, Werner Tübke, Arno Rink, Erich Kissing, Ulrich Hachula und Willi Sitte. Plattner legt Wert darauf, dass er „kein DDR-Nationalmuseum“ schaffe, sondern nach seinem Geschmack, mit seiner Handschrift eine eigene Sammlung ostdeutscher Kunst. Insgesamt will Plattner dafür mehr als 50 Werke anschaffen. Gedacht ist die Sammlung für eine Kunsthalle, die er über eine Stiftung in Potsdams Mitte errichten will. Später will der Mitbegründer und Aufsichtsratschef des Softwarekonzerns SAP dort auch seine weltweit auf verschiedene Standorte verteilte Sammlung mit Werken der Klassischen Moderne zusammenführen. Zudem hat er internationale Wechselausstellungen angekündigt. Vor der Halle soll dann – als Coup – der „Jahrhundertschritt“ stehen.

Plattner hat die Monumentalskulptur vom Frankfurter Galeristen Karl Schwind, der Mattheuers Nachlass betreut, erworben. Der „Jahrhundertschritt“ gehört zu den bekanntesten Skulpturen der DDR-Kunst. „Da hat er uns wieder mal einen ordentlichen Sprengsatz untergeschoben“, soll ein hoher SED-Kulturfunktionär während der Erstpräsentation 1985 über Mattheuers Symbolfigur gesagt haben. Der Leipziger Maler, der im April 2004 an seinem 77. Geburtstag gestorben ist, hatte Mitte der Achtziger innerlich schon mit der DDR abgeschlossen. „Verlorene Mitte“ heißt eine der Grafiken, mit denen der Künstler 1980 beginnt, sich die Figur des innerlich und äußerlich Zerrissenen zu erarbeiten. Der „Jahrhundertschritt“, so quälend und geschichtsbeladen er sich auch darstellt, war für Mattheuer selbst ein großer Schritt ins Freie. Am 7. Oktober 1988 trat der privilegierte Künstler mit einem offenen Brief aus der SED aus.

Im „Jahrhundertschritt“ verdichtet sich erlebte und durchlittene Zeitgeschichte. Ein gestisches Jahrhundert-Kürzel, das bald in Potsdam stehen soll. Beim künftigen Potsdamer Exemplar handelt es sich nicht um einen der zweieinhalb Meter hohen Güsse aus bemaltem Eisen oder bemalter Bronze, die mittlerweile beinahe alle ihren Platz im öffentlichen Raum gefunden haben – so im Hof des Museums Moritzburg in Halle, vor der Berliner Volksbank an der Budapester Straße, vor dem Haus der Geschichte in Bonn oder am Haupteingang des Zeithistorischen Forums in Leipzig. Der von Plattner ins Auge gefasste Guss fällt allein schon durch seine Größe aus dem Rahmen. Ungefähr fünf Meter hoch ist diese posthum in der Kunstgießerei Krepp in Berlin-Weißensee gegossene Version.

2009 hatte Karl Schwind einen Versuch unternommen, die Großskulptur vor dem Reichstag oder vor einem anderen Gebäude im Berliner Regierungsviertel zu platzieren. Im Kunstbeirat des Parlaments wurde das Ansinnen beraten und abgelehnt. Als zu monumental für die vorgeschlagenen Plätze, so Andreas Kaernbach, Kurator der Kunstsammlung des Bundestags, sei das Kunstwerk empfunden worden. Mit mangelnder Wertschätzung für Mattheuer habe das nichts zu tun. Schließlich ist der Künstler mit zwei Gemälden prominent im Reichstagsgebäude vertreten. Nun also soll Mattheuers gewichtiges Spätwerk laut Plattner nach Potsdam kommen. Wann, stehe noch nicht fest; aber der Standort: im Kutschstallhof – dort, wo bis vor kurzem noch Artefakte des Potsdamer Stadtschlosses lagerten.

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