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Berlin: Praxistest in Spandau

Die Ärzte spielen im Sommer vor mehr als 100 000 Besuchern in Berlin Begonnen hat ihre Karriere vor 30 Jahren, in einer Disko in der Dorfstraße 5.

Hier also sollen vor mehr als 30 Jahren, im Pogo-Irrsinn der Tanzfläche, zwei Punks ineinandergekracht sein. Eine Kollision, aus der wenig später die beste Band der Welt hervorging. Die Ärzte. 1980 war das, oder 1981, wie bei jeder Legende ist auch dieser Gründungsmythos zeitlich verwischt. Sicher ist nur der Ort.

Ballhaus Spandau.

Wenn man heute davorsteht, Dorfstraße 5, im Schlagschatten der Ikea-Filiale, drängt sich vor allem eine Frage auf:

Warum eigentlich genau hier?

Irgendwie hat man sich das jetzt anders vorgestellt. Rock-’n’-rolliger, punkiger. Es ist aber, mitten im Wohngebiet, vor allem eines: verdammt still. Von außen betrachtet sieht das eher unscheinbar aus. Ein in lilafarbenes Licht getauchter Schriftzug, ein Schild: „Musik-Cafe –Rock – Disco“.

Der Laden hält dann aber drinnen, was er draußen gar nicht versprochen hat. Gleich hinter der gläsernen Eingangstür gibt es, damit gar keine Missverständnisse aufkommen, die volle Schwarzlichtbreitseite. Konzertplakate hängen dort, Zappa, 19. Oktober 1989, Deutschlandhalle. Prince, 1990 in der Waldbühne, Status Quo im Metropol. Soll auch heißen: Wir waren dabei. Souvenirs einer Jugend.

Oder, wie Chris Brock sagt: „Tür auf. Time Tunnel.“ Brock, 46 Jahre alt, dunkle Weste, Jungsgesicht hinter einer schmalen Brille, ist, um im Duktus der Nostalgie zu bleiben, der Discjockey des Ballhauses. Längst Inventar, seit er mit 15 das erste Mal hier war, sitzt er auf einem der Barhocker, als hätte er schon immer dort gesessen. Nachher wird er sich, wie jeden Freitag, wieder auf die Kanzel stellen, um Rockmusik zu predigen. Jetzt hat er aber noch etwas Zeit, viereinhalb Zigaretten etwa, um das hier mal zu erklären.

Die Sache mit den Ärzten.

Das Ballhaus-Gefühl.

Denn: „Es gab ja einen Grund, warum die sich hier kennengelernt haben, Bela und Farin.“ Brock bestellt eine Cola Light. Der Reporter überlegt noch. Klar ist da jetzt auch, das ist Teil der Folklore, dass sofort und ohne Rücksicht auf Verluste die üblichen Thekensätze rausgedrückt werden, diese Stadtrandfreundlichkeit, die für ungeübte Ohren ja immer gleich wie eine Kampfansage klingt.

„Watt willste trinken?“, fragt die Barfrau, die dunklen, von einem schimmernden Violett durchtränkten Haare auf einer Seite abrasiert, blumentätowiert auf Schulterblatt und Schlüsselbein. Was gibt’s denn? Antwort: „Club Mate hamm wa hier nicht. Wir haben hier auch keene Bionade, oder zuckerfreien Red Bull. Wir machen nicht jeden Trend mit.“ Da ist man traditionsbewusst.

Das Ballhaus gibt es ja immerhin schon seit 1895. Und es war nie etwas anderes als ein Ort, an dem sich die Jugend zum Schwof getroffen hat. Oder, später, eben zum Pogo. Brock zündet sich eine Zigarette an. Wo waren wir stehen geblieben? Genau, die Ärzte: „1980 lief in den Clubs Blondie oder Alex Harvey. Das Ballhaus aber war einer der wenigen Läden in der Stadt, der dem Punk ein Zuhause gab. Das war der Grund für die, herzukommen.“ So einfach ist das. Es ging, ganz simpel, nur um die Musik, für die es hier, auch einen festen Begriff gab: „Jeder wusste Bescheid, wenn einer gesagt hat, das ist doch Ballhaus-Mucke“, sagt Brock und erklärt dann auch gleich mal, was das eigentlich bedeutet, Ballhausmucke.

„Citys ‚Am Fenster‘ hat sonst kein Laden in voller Länge gespielt. Und auch Radiomusik, also so im Sinne von Markus gab es hier nicht.“ Ballhaus, das war immer, ganz bewusst, ein bisschen anders, immer irgendwie am Mainstream vorbei. Eher die B-Seite als die Mega-Hits von Depeche Mode. Und in der Hochzeit der Neuen Deutschen Welle; Ende der 80er, wurden die Fehlfarben und Ideal aufgelegt. Aber eben nicht: Nena.

Zudem feierte hier keine geschlossene Gesellschaft. Gerade in den 80ern, als es eine gewisse Rivalität zwischen Poppern, Prolls, Teds und, logisch, den Punks gab, war das Ballhaus ein Laden, dessen Ideologie sich darauf beschränkte, keine zu haben: „Hier war immer irgendwie die Schweiz“, erinnert sich Brock.

Auch Bela B. und Farin Urlaub passten, zumindest äußerlich, nicht unbedingt zusammen, es verband sie lediglich die Liebe zum Punk.

Bela, damals noch Dirk Albert Felsenheimer, ein Dekorateur aus Spandau, langes schwarzes Haar, Typ düster tätowierter Wiedergänger, der das Experiment, Polizist zu werden, früh beendet hatte und als Hertie-Azubi schnell unerwünscht war, weil er sich nicht dem gediegenen Dresscode der Kaufhauskette unterordnen wollte.

Und Jan Vetter. Otto normal. Ein Gitarre spielender Gymnasiast aus dem bürgerlichen Frohnau, der erst auf einer Klassenfahrt nach London beschlossen hatte, Punk zu sein. Das übliche Coming-of-Age-Ding. Haare ab, Farbe drüber. Rambazamba. Der junge Vetter jedenfalls hielt Felsenheimer für einen Asozialen und Felsenheimer sah in seinem Gegenüber auch eher den Freizeitpunk aus der Villengegend. Die Anziehungskraft der Gegensätze.

Das hat sich kaum verändert, das Ballhaus ist noch immer die Diskothek der musikalisch Heimatlosen. Viele der Stammgäste sind Jugendliche der 70er, 80er, 90er, die Reste von heute, vereint in der gemeinsamen Retrospektive. „Dann trinkt der Banker im Nadelstreifenanzug sein Feierabendbier neben dem Punk. Und die beiden fangen an sich zu unterhalten“, fasst Brock dieses Ballhaus-Gefühl noch einmal zusammen, bevor er, um kurz vor elf, Discjockeyzeit, von seinem Barstuhl rutscht.

Auf der Tanzfläche wirbelt wenig später eine trotz ihrer schwarzen Stiefel kaum über 1,60 Meter große Frau, Anfang 50 vielleicht, in einem Amazonen-Outfit durch das Dröhnen von Brocks Kanzel. Von links nähert sich, langsam, stampfend fast, ein ungelenker Hüne, gestreiftes Hemd, Jeans, weiße Chucks, tanzt nun neben der Blonden. Eine räumliche Nähe, die auf der Straße keinen Sinn ergeben würde. Den Refrain brüllen beide gemeinsam, ein ungleiches Duett. Klar, das geht immer noch, schließlich ist die Tanzfläche dieselbe wie vor 32 Jahren, als hier ein Asozialer und ein Gymnasiast kollidiert sind.

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