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Thierse_2000

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Prenzlauer Berg: Brief und Siegel

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse beschwert sich über die Verlegung eines Wochenmarkts vor die eigene Haustür - unter offiziellem Briefkopf. Alles nur ein Versehen, rudert er jetzt zurück.

Manche finden es ja wieder mal typisch für den nachwendischen Prenzlauer-Berg-Berliner: Sich erst toll finden, weil man jeden Sonnabend auf dem Wochenmarkt um die Ecke einkaufen geht und nicht beim Discounter. Aber meckern, wenn der nämliche Wochenmarkt dann umzieht – und sich plötzlich nicht mehr um die Ecke befindet, sondern direkt vor der eigenen Haustür. Und wenn gemeckert wird, dann nicht einfach so, sondern schriftlich, in diesem Fall mit Bundestagsvizepräsidentenbriefkopf.

Jens-Holger Kirchner, grüner Ordnungsstadtrat des Bezirks, hat einen solchen Brief von Wolfgang Thierse bekommen, in dem der SPD-Politiker sich über die Verlegung des Marktes von der Wörther in die Knaackstraße beklagt: Demokratische Gremien seien nicht angemessen einbezogen und die Bürger getäuscht worden, heißt es darin. Nur schreibt das eben nicht der Anwohner oder der Wahlkreisabgeordnete Thierse, sondern der Bundestagsvizepräsident. Thierse sagte gestern dem Tagesspiegel: „Der Briefkopf ist schlicht ein Versehen.“ Seine Sekretärin habe am falschen Computer gesessen. „So einfach ist das.“ Bei der Beschwerde gehe es ihm – ebenso wie seinen Nachbarn – weniger um die Entscheidung selbst als um die Art, wie sie getroffen worden sei.

Der Stadtrat hat Thierse noch nicht geantwortet, will das aber nachholen: „Ich werde ihm, wie es sich gehört, für seinen Brief danken und ihm darlegen, wie die Entscheidung zustande gekommen ist.“ In dem Brief dürfte also stehen, dass der Wochenmarkt sich als Nummer zwei hinter dem am Winterfeldtplatz etabliert habe, doch wegen Bauarbeiten im Herbst ans andere Ende des Kollwitzplatzes ziehen werde. Diesen provisorischen Standort in der Knaackstraße sollte der Markt nach Abschluss der Arbeiten ursprünglich wieder verlassen – nur habe sich erwiesen, dass der neue Standort der geeignetere, weil geräumigere sei und deshalb zur Dauereinrichtung werde. Bei dieser Abwägung seien die Interessen der Händler ebenso berücksichtigt worden wie die der Anwohner. Da es sich bei einem Markt um die Sondernutzung von öffentlichem Straßenland handele, hätte der Stadtrat auch allein entscheiden können. Aus demokratischen Erwägungen habe er aber zuvor die Vorsitzenden zweier bezirklicher Ausschüsse zu einem Ortstermin gelotst; was ja wohl Meinungsbildung im besten Sinne sei. Ebenso wisse er, dass man als Anwohner nicht jeden Freitagabend auf Parkplatzsuche gehen und jeden Samstagmorgen vom Geklapper des Marktaufbaus geweckt werden möchte. Aber so sei das nun mal in der Großstadt.

Das wird Kirchner, der den ebenfalls als Markteinkäufer bekannten Thierse seit mindestens 20 Jahren persönlich kennt, also demnächst schreiben. Mit Bezirksamtsbriefkopf.

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