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Jacinta Wanjohi floh vor den Alltagsbedingungen in Kenia – jetzt lebt sie mit ihrem Sohn Adrian für eine symbolische Monatsmiete von einem Euro an der Stadtgrenze Berlins.

© Sven Darmer

Private Flüchtlingshilfe: Millionär nimmt Flüchtlingsfamilie auf

Ein ehemaliger Top-Manager beherbergt in seiner Villa an der Berliner Stadtgrenze eine Flüchtlingsfamilie. Sie zahlt für eine eingegliederte Wohnung Miete - einen Euro im Monat.

Adrian wirft, und eigentlich fehlt’s dabei an jeglicher Eleganz. Der rechte Arm bewegt sich eckig, von kraftvoll kann keine Rede sein. Aber er schafft’s, dass Werner Meyer zur Hauswand gehen muss, etwas schleppend allerdings. Meyer ist 76, die Zeiten seiner federnden Schritte sind vorbei. An der Wand lehnt ein Kescher, im Wasser liegt Adrians Stein. Ein Stein gehört aber nicht in einen Swimming Pool. Meyer zieht das Netz des Käschers über den Boden, bis er den Stein erwischt hat, dann zieht er ihn raus und präsentiert ihn Adrian wie eine Trophäe. „Hier, Adrian, hier ist der Stein.“ In so einem Ton präsentieren Angler kapitale Forellen.

Adrian ist mäßig beeindruckt. Er hat schon ein neues Ziel entdeckt. Ein Junge, der gerade mal seit 15 Monaten auf der Welt ist, hat’s nicht so mit symbolischen Riesenforellen. Werner Meyer ist das egal, er muss jetzt verhindern, dass Adrian über den Beckenrand in den Pool wackelt.

Von der Geschichte seiner Mutter ahnt er nichts

Hier der Opa, immer noch muskulös, mit kantigem Schädel und sehr wachen Augen, dort der kleine Enkel, der so eckig watschelt wie die Bonsai-Ausgabe eines Sumoringers, den Mund zum Kinderlachen verzogen, das ist das Bild an diesem Nachmittag, hier im Garten einer Villa in Glienicke, direkt an der Berliner Stadtgrenze, zwischen Pool, sorgsam gepflegtem Rasen und mächtigen Bäumen. Ein Alltagsbild. Aber dahinter steckt etwas ganz anderes. Eine besondere Flüchtlingshilfe.

Denn am Pool steht auch Adrians Mutter, und Meyer ruft ihr zu: „Take care of him.“ Aber da hat Jacinta Wanjohi ihren Sohn schon auf den Arm genommen. Ihren Sohn, der in Deutschland geboren wurde und nicht weiß, dass seine Mutter aus Kenia stammt und mit ihm in dieser Villa lebt, weil ein mehrfacher Millionär erschüttert war von Bildern der zahllosen Flüchtlinge und angewidert von den Kommentaren, in denen solche Menschen als Störenfriede bezeichnet werden.

Und zum Geburtstag gab’s Kekse und Luftballons.
Und zum Geburtstag gab’s Kekse und Luftballons.

© Sven Darmer

Werner Meyer, ehemals Topmanager eines Stahlbauweltkonzerns, beschloss zu helfen.

Die Hilfe begann im Herbst 2014 mit einer Serie von Telefonaten. Irgendwann hatte er die richtige Behörde am Apparat, Dezernat 3 des Landkreises Oberhavel. Einer Mitarbeiterin erzählte Meyer sein Angebot. Er habe in seiner Villa eine Einliegerwohnung, 35 Quadratmeter, Küche, Bad, Fernseher, Waschmaschine, alles da. Eigentlich für die Kinder gedacht, wenn die mal kommen. Aber meist steht sie leer. „Ich würde gerne einen Flüchtling aufnehmen und ihn kostenlos bei mir wohnen lassen.“ Für Flüchtlinge sei es doch schrecklich, wenn sie beengt zusammen wohnen müssten. Dezentral wäre doch viel besser. Und deshalb: Könne das Amt jemanden vermitteln?

Vielleicht könnte er ein Vorbild sein

Kostenlos? Heikles Thema. Der Flüchtlingsrat Berlin rät in der Regel zu einem gewöhnlichen Mietvertrag mit regelmäßigen Zahlungen. Eine Schutzmaßnahme. Damit die Mieterrechte greifen und Flüchtlinge nicht das Gefühl permanenter Dankbarkeit erdulden müssen.

Auch die Mitarbeiterin in Dezernat 3 wollte von kostenlos nichts wissen. Na, wenn’s denn sein muss mit einem Mietvertrag, bitte, damit hatte Meyer keine Probleme. Also setzte er die Mietsumme ein: genau ein Euro. Ihm geht’s um Hilfe, nicht ums Geld.

Und ja, das sagt er auch, vielleicht diene er ja auch als eine Art Vorbild. Vielleicht ziehen Menschen, die diese Geschichte lesen, ja nach. Das wäre Meyers Wunsch. Menschen, die auch eine Wohnung zur Verfügung stellen können. Oder auf andere Weise helfen. Hilfe, die ist für ihn wichtig. Deshalb möchte er seinen echten Namen nicht veröffentlichen. Er heißt nicht Meyer, er möchte, dass der Einsatz selbst im Vordergrund steht.

Die Mitarbeiterin des Dezernats 3 jedenfalls schaute sich die Wohnung an, sie brachte auch Jacinta Wanjohi ins Spiel. Eine 28-Jährige, geboren in Nairobi, aufgewachsen in Mombasa, geflüchtet vor den Bedingungen ihres Alltags.

Ein paar Tage, nachdem sie die Wohnung angeschaut hatte, zog sie ein, mit Adrian auf dem Arm. Es war der 20. Januar. In der Einliegerwohnung wohnt sie, im restlichen Teil der Villa, in den Etagen darüber, wohnen Meyer und seine Frau.

Es braucht klare Regeln

Eine sensible Konstruktion. Sie funktioniert nur, wenn es klare Regeln gibt. Nötige Distanz, keine Form von psychischer Abhängigkeit, kein Gefühl von erzwungener Dankbarkeit.

Die Regeln funktionieren. Jacinta Wanjohi steht barfuß auf dem Rasen, die Sonne brennt vom Himmel. Die 28-Jährige wirkt eher ruhig, sie beobachtet viel, bevor sie redet. Aber ihr Blick ist offen, und jetzt lächelt sie, während sie Adrian beobachtet. „Es gefällt mir hier sehr gut. Ich hoffe, ich kann noch lange bleiben. Ich möchte eigentlich nicht an den Tag denken, an dem ich ausziehen müsste.“ Ihre Duldung läuft erst mal bis Oktober. Aber sie hält auch Distanz. „Viele Details meines Lebens erzähl’ ich nicht.“

Und Meyer fragt nicht nach. Er wollte nie wissen, weshalb die 28-Jährige konkret geflohen ist. „Das geht mich nichts an. Es gibt fachkundige Menschen, die sich damit befassen. Und was Frau Wanjohi den Tag über macht, geht mich nichts an. Sie ist in erster Linie Mieterin.“

Mieter/Vermieter, das ist das nüchterne, das klar definierte Beziehungsgeflecht. Aber darunter entwickelt sich eine besondere Fürsorge. Meyer drängt sich nicht auf, aber er hilft, wo er kann. Jacinta Wanjohi ist katholisch, also hat er ihr die Kirche in Frohnau gezeigt. Sie benötigte für Adrian eine Mutter-Kind-Gruppe, also hat er ihr geholfen, eine zu finden. Sie benötigte einen Kitaplatz für ihren Sohn, jetzt hat sie einen in Glienicke. Mit seiner Hilfe. Derzeit sucht sie selber eine Stelle, irgendeinen Job, mit dem sie ihren Alltag strukturieren kann. Meyer hilft bei der Suche.

Der Millionär wird verwandelt

An dem schweren Esstisch im Wohnzimmer, dort wo man durch eine Fensterfront den Pool sieht, da haben die beiden Deutsch gelernt. Meyer hat sie an die Sprache herangeführt, er simulierte Alltagssituationen. Einkaufen im Supermarkt zum Beispiel. „Ich habe die ganzen W-Fragen mit ihr geübt.“ Wie viel kostet das? Wo steht die Milch? Aber auch: Wann fährt ein Bus? In den ersten zehn Tagen büffelte sie am Tag 60 Minuten mit ihm. Irgendwann reduzierten sie das Programm auf zweimal pro Woche. Meyer muss leise lachen. „Eine Stunde täglich war ihr wohl zu viel.“ Wenn die beiden über den Büchern hockten, ging Meyers Frau mit Adrian spazieren.

Man muss hören, wie Meyer von Adrian redet. Man muss diese Wärme hören. Das Wort Adrian wirkt wie ein Lichtschalter, es verwandelt den Millionär. Der frühere Topmanager, der immer noch so hart reden kann, dass seine Sätze klingen wie Hammerschläge auf Beton, der verwandelt sich in einen weichen, fürsorglichen Opatypen, sobald er von dem Jungen redet oder ihn sieht.

Der 76-Jährige zeigt zu einem Baum. Dort hinten will er die Bank aufstellen, für die Mama. Die braucht doch einen Platz zum Sitzen, wenn sie auf Adrian aufpasst. Dann dreht er sich und zeigt auf ein Rasenstück. „Dort“, sagt er, „dort werde ich vielleicht einen Sandkasten bauen.“ Als Adrian Geburtstag hatte, stellte Meyer Kekse auf den Tisch und pustete Luftballons auf.

Seine Nachbarn kennen Adrian und seine Mutter. Meyer hat alle darüber informiert, dass die beiden einziehen werden. Es gab nie Probleme, im Gegenteil. Einer von Meyers Nachbarn ist pensionierter Professor und reist viel. Sein aktuelles Reiseziel ist Kenia. Jacinta Wanjohi brachte ihm Kisuaheli bei.

Im Garten spielt Adrian wieder mit Steinen, weit weg diesmal vom Pool. Er kann nicht hören, was Werner Meyer sagt. Meyer murmelt: „Später bringe ich dir das Schwimmen bei.“

So können Sie Wohnraum für Flüchtlinge anbieten:

Die Plätze in Wohnheimen sind knapp, die Flüchtlingszahlen steigen weiter. Private Wohnungen für Flüchtlinge vermittelt im Auftrag des Landesamts für Gesundheit und Soziales das Evangelische Jugend- und Fürsorgewerk (EJF). Die Beratungsstelle „Wohnungen für Flüchtlinge“ ist in der Turmstr. 21 in Moabit. Kontakt: Sophia Brinck, Telefon: 30 87 36 52, E-Mail: wohnungen- fuer-fluechtlinge@ejf.de.

Um private Wohnsituationen wie WG-Zimmer an Flüchtlinge zu vermitteln, gibt es zudem die neu gegründete Berliner Initiative „Flüchtlinge Willkommen“. Unter www.fluechtlinge-willkommen.de melden sich die WGs auf der Webseite an – ein Ansprechpartner stellt den Kontakt her. E-Mail: hallo@fluechtlinge-willkommen.de

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