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Berlin: Pro Tag 500 Mark Beute erzwungen - Zahl der Delikte zurückgegangen

Sie sind zwischen acht und vierzehn Jahre alt, aus Rumänien verschleppt worden, und jetzt ist nichts mehr vor ihnen sicher: In den Kudamm-Bussen fischen sie den Touristen Geldbeutel aus den Manteltaschen, alten Leuten reißen sie die Handtaschen weg. Und steht in einem Kaufhaus die Kasse einen Moment zu lange offen, sind sie mit dem Packen Hunderter schon auf und davon.

Von Barbara Nolte

Sie sind zwischen acht und vierzehn Jahre alt, aus Rumänien verschleppt worden, und jetzt ist nichts mehr vor ihnen sicher: In den Kudamm-Bussen fischen sie den Touristen Geldbeutel aus den Manteltaschen, alten Leuten reißen sie die Handtaschen weg. Und steht in einem Kaufhaus die Kasse einen Moment zu lange offen, sind sie mit dem Packen Hunderter schon auf und davon. Rund 100 solcher "Klaukinder", wie die Polizei sie nennt, sollen in Berlin unterwegs gewesen sein. Die Beute ihrer Streifzüge: 15 Millionen Mark. Im März vergangenen Jahres wurde eine Bande von rund 80 Kindern ausgehoben. Seitdem, so die Polizei, seien von "Klaukindern" begangene Diebstähle nur noch "Einzelfälle". Gegen drei Männer wurde am Berliner Landgericht jetzt der Prozess eröffnet: Sie sollen die Bandenchefs gewesen sein. Sechs weitere Drahtzieher konnten sich absetzen.

Der Deutsche Frank M. und die beiden Rumänen Bibi Z. und Costel C. saßen also gestern im Moabiter Kriminalgericht auf der Anklagebank. Z. und C. sollen die Schleuser der Bande gewesen sein. Schleuser, so die Anklage, kauften die Kinder in Rumänien von ihren verarmten Eltern für ein paar hundert Mark ab. Unter 14 Jahren müssen sie sein: für deutsche Gefängnisse zu jung. In Polen lehren sie ihnen das Stehlen, und dann geht es über die Oder nach Deutschland. Bibi Z. ließ zum Beispiel den Klaujungen Gabriel mit dem Schlauchboot übersetzen: 500 Mark zahlte er für den Schlepper. Dafür kassierte er später die Beute, wenn Gabriel auf seinen Klau-Touren durch die ganze Republik unterwegs war. So zeichnet die Anklage seine Spur nach: Münster, 29. September - Gabriel versucht, bei "Horten" Geldbörsen zu klauen. Hagen, 20. Oktober - er stiehlt mit seinem Kumpel Marian einer Frau den Geldbeutel aus der Handtasche.

Der Deutsche Frank M. war der Vermieter der Kinder. Für Wohnungen in der Rigaer oder Warschauer Straße knöpfte er ihnen fast 3000 Mark monatlich ab. Er selbst zahlte 170 bis 730 Mark dafür. Und manchmal fuhr der 47-Jährige mit dem kahlgeschorenen Schädel selbst mit den Kindern auf Tour. Jeden Tag mussten sie 500 Mark Beute machen und sich die Wucher-Mieten zusammenklauen.

Wegen "Banden-Diebstahls" in über hundert Fällen sind Frank M., Costel C. und Bibi Z. jetzt angeklagt. Auch für ihre Brutalität - im Fall, dass ein Kind mal nicht spurte: zum Beispiel sein Tagessoll nicht schaffte. Angekettete, mit Rasierklingen und brennenden Zigaretten traktierte Kinder, die auch mal ihre Exkremente essen mussten - so schilderte die Polizei die Zustände in den Kinder-Wohngemeinschaften. Wollte ein Kind abhauen, holte es Frank M. gewaltsam zurück.

Peter Preibsch, Leiter der Kripo-Arbeitsgruppe gegen rumänische Bandenkriminalität, sagt, dass es mittlerweile kaum noch solche Schicksale in Berlin gebe. "Vergangenen März haben wir die Bandenchefs mit Fotos zur Fahndung ausgeschrieben, da haben sie sich abgesetzt", erklärt er. Die Kinder der ausgehobenen Bande seien teilweise in Heimen untergekommen, teilweise aber auch nach Rumänien abgeschoben. Welche in Zeugenschutzprogramme aufgenommen wurden, will Preibsch nicht sagen. In den vergangenen beiden Jahren sind die Taschendiebstähle tatsächlich um 7000, also um 28 Prozent, zurückgegangen. Der Prozess wird am Mittwoch fortgesetzt.

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