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Pro & Contra: Mehrsprachige Fragebogen: Sprachlos im Ämterlabyrinth

Viele Migranten verzichten auf Anträge, weil sie Formulare nicht verstehen. Ein Neuköllner Verein gibt Nachhilfe in Behördisch. In unserem Pro & Contra fragen wir: Soll es amtliche Fragebogen mehrsprachig geben?

Die schwierigen Wörter hat May Elkalaoui bisher ausgelassen. Bei Behördenbriefen hat dann manchmal ihr Mann geholfen, manchmal waren es die Lehrer vom Deutsch- oder vom Computerkurs. In Zukunft will die dreifache Mutter auch diese Briefe allein schaffen. Deswegen kommt sie seit April jeden Freitag zum Workshop „Frauen organisieren sich“ im Deutsch-Arabischen Zentrum in Neukölln. Hier holt die 41-Jährige sich Mut in Sachen Bürokratie.

Fehlende Deutschkenntnisse hindern offenbar viele Familien mit Migrationshintergrund, ihre berechtigten Ansprüche bei Behörden auch geltend zu machen. Das zeigt etwa das Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien. Erst knapp ein Viertel der Anspruchsberechtigten haben bisher Leistungen beantragt. Schulen berichten, dass Eltern auf Zuschüsse zum Schulmittagessen, zur BVG-Karte, für Klassenfahrten oder Nachhilfe verzichten, weil sie die Antragsformulare oft nicht verstehen, da es sie nur auf Deutsch gebe. Die Bildungsverwaltung beruft sich auf die Amtssprache Deutsch. Formulare zum Beispiel in türkischer oder arabischer Sprache anzubieten, sei nicht geplant. Allerdings wolle man jetzt Infoblätter in verschiedenen Sprachen erarbeiten. Dass es auch anders geht, zeigt die Ausländerbehörde, die etwa Antragsformulare für Aufenthaltstitel auch auf Griechisch, Türkisch und Serbokroatisch anbietet.

Im Deutsch-Arabischen Zentrum wird deutlich, welche Herausforderung mitunter ein ganz normaler Amtsweg bedeuten kann. Workshopleiterin Fousiye El-Dakhloul verteilt graue Ringordner an die Teilnehmerinnen. In die Mitte des Tischs legt sie Kugelschreiber, Textmarker und Datteln mit Mandeln. „Die Frauen sollen lernen, eigenständig ihren Papierkram zu bearbeiten, zu beantworten und zu ordnen“, sagt die 30-jährige Diplomkauffrau. In familiärer Atmosphäre sollen sie Briefe schreiben und sich über ihre Rechte und Pflichten informieren. May Elkalaoui, die vor 15 Jahren aus dem Libanon nach Berlin gekommen ist, hat einen Brief vom Jobcenter mitgebracht. Sie soll sich bewerben, aber die angegebene Frist widerspricht offensichtlich einem anderen Dokument. Die Frauen scherzen auf der Suche nach Logik. „Den Sachverhalt schildern und immer freundlich und kompromissbereit bleiben“, lautet ein Rat der Workshopleiterin. Die Scheu, telefonisch bei Ämtern nachzufragen, hat Elkalaoui schon abgebaut. Als Nächstes will sie den Reisekostenzuschuss für die Klassenfahrt ihres Kindes beantragen. „Jobcenter-Bildungspaket“ steht auf einem Trennblatt in ihrem Ordner.

„Viele Frauen fühlen sich im Amt nicht richtig verstanden, wir wollen sie in die Offensive bringen“, sagt die 28-jährige Warkaa Al-Radhi, Projektleiterin für Mädchen und Freizeit im Deutsch-Arabischen Zentrum. Die Idee entstand, weil immer wieder Frauen mit Briefen vom Jobcenter kamen und um Hilfe baten. Auch komplizierte Themen sollen die Frauen auf Deutsch besprechen; wenn nötig, wird auf Arabisch wiederholt.

Mariam Zaher ist schon den ganzen Tag unterwegs, um einen Konflikt mit einer Lehrerin ihres Sohnes zu klären. Sie spreizt Daumen und Zeigefinger. „So dick ist die Schulakte meines Sohnes und nicht ein Brief ist von mir“, erzählt die 30-jährige gebürtige Berlinerin. Von einer wichtigen Besprechung hätte sie erst im Nachhinein erfahren, mit Anrufen erreiche sie nichts. Sie selbst sieht sich als aktive Frau, hat aber oft das Gefühl, für Gesprächspartner „nur eine Frau in Neukölln, eine arabische Mutter“ zu sein. „Du kannst nicht einfach anklopfen und sagen: Hallo, Hallo“, rät Workshopleiterin El-Dakhloul. Gerade in einer angespannten Situation empfiehlt sie, ganz auf Schriftverkehr umzusteigen. „Einschreiben, Rückschein – und zur Not Rechtsbeistand.“ Auf einen Collegeblock beginnt sie zu schreiben „Sehr geehrte Frau …“. Den Brief will Zaher noch am selben Abend tippen.

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