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Berlin: Probesitzen hinter Gittern

Neues Präventionsprojekt gegen Kriminalität: Gefährdete Jugendliche bei Häftlingen in Moabit

Auf dem Schild an der Zellentür steht: „Strafer. Weißbrot. Fischaustausch.“ Diese kurzen und knappen Anmerkungen zum Speiseplan eines Gefangenen haben den Jugendlichen erschreckt. „Dass sie im Hof alle im Kreis laufen – und das Klappern der Schlüssel, das werde ich nie vergessen“, sagt der 16-jährige Hassan (Name geändert). Der gebürtige Berliner mit libanesischen Eltern war schon im Gefängnis. Hassan war aber nicht inhaftiert – er lernte die Justizvollzugsanstalt (JVA) Moabit an einem Tag „Schnupperknast“ vielmehr zur Abschreckung von innen kennen. Der Neuntklässler aus Wedding nimmt an einem neuen Projekt zur Kriminalitätsprävention teil, das Mitarbeiter vom Schulpsychologischen Beratungszentrum Mitte und der Justizvollzugsanstalt Moabit selbst entwickelten.

„Die Idee war, dass Inhaftierte die Jugendlichen, die mit einem Bein im Gefängnis stehen, ganz anders ansprechen können“, sagt Schulpsychologin Aida Lorenz von der Senatsbildungsverwaltung. Sie ersann das Modellprojekt mit Gudrun Petersen-Buck, Leiterin der Sozialpädagogischen Abteilung der JVA Moabit. Der mehrstündige Besuch im Knast ist aber nur ein Bestandteil des „AIDA“-Projektes: Seit Mitte Oktober haben sich die vier beteiligten Gefangenen auch mit JVA-Psychologe Rolf Brückler zu zehn Vorbereitungstreffen zusammengesetzt. Draußen trafen sich fünf Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren mit Schulpsychologen, verbrachten einen Tag bei der Polizei-Direktion 3, sahen das Stück „Cengiz & Locke“ zu Jugendgewalt im Grips Theater. Die Projektteilnahme haben meist Richter oder Schulräte angewiesen.

„Wenn einer komisch guckt, habe ich zugeschlagen“, sagt Hassan beim Treffen in der JVA. Er musste schon wegen Körperverletzung soziale Arbeitsstunden ableisten. Hassan lebt mit sechs Geschwistern bei seiner Mutter, der Vater hat selbst Knasterfahrung. Sie alle sind geduldete Asylbewerber, dürfen nicht arbeiten, eine Ausbildung beginnen oder jobben, „obwohl wir gerne würden“, sagt der sanft wirkende 16-Jährige. „Manchmal schlägt man aus schlechter Laune zu. Aber das will ich jetzt nicht mehr. Im Gefängnis halte ich keine zwei Wochen aus.“

Jens Z., Hassans Gesprächspartner, hat gut zwei Drittel seiner knapp sechseinhalb Jahre hinter sich. Mit seinen vier Mitstreitern hatte der 25-Jährige sich überlegt, die Jugendlichen in der Gefängnis-Arbeitskleidung zu empfangen – und in einer 7,5-Quadratmeter-Zelle. Anstaltsleiter Wolfgang Fixson hat mit den Gefangenen gesprochen, unterstützte sie in dem Vorhaben, in den Biographien nach Parallen zu suchen. Die Männer haben viel über sich selbst nachgedacht. „Die Jugendlichen sollen auf keinen Fall die gleichen Fehler machen wie ich“, sagt Jens Z..

Dass Hassan inzwischen vor seiner Klasse erzählt hat, wie beeindruckend das Gespräch mit ihm war, „finde ich topp“, sagt Jens Z. „Ich habe ein gutes Gefühl. Das ist ihm ans Herz gegangen. Er sollte sich in schwierigen Situationen an die Erfahrungen hier erinnern.“ Die Psychologin sagt, Hassan habe sich in der Schule sehr verbessert. Jene Teilnehmer, die schon mal im Jugendarrest saßen, seien leider abgeklärter. Hassan macht bald beim Gewaltpräventionstraining mit, das die Unfallkasse Berlin unterstützt. Das AIDA“-Projekt haben die Beteiligten überwiegend in ihrer Freizeit betreut.

„Wenn mich jemand anmacht, werde ich ihm den Rücken zudrehen oder das im Gespräch regeln“, sagt Hassan – Jens’ Worte. Dessen Mitgefangener Timothy saß das erste Mal hinter Gittern, als er 14 war und Vater wurde, allein hier in der JVA sind es schon neuneinhalb Jahre. Timothy engagiert sich als Vater, sagt er, weil er da was bewirken möchte. Ihn wollte unbedingt ein Jugendlicher sprechen, der auch eine dunkle Hautfarbe hat. Dass der 32-Jährige seine Frau und die beiden Kinder nur alle paar Monate sieht, dass er wegen jeder Kleinigkeit im Knast einen Antrag stellen muss, das hat Hassan geschockt: „Im Gefängnis ist das so ein ekliges Gefühl.“ Etwas besseres hätte er nach dem Projekttag nicht sagen können.

Annette Kögel

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