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Problembezirke: Allein kann sich Neukölln nicht helfen

Zwei Veranstaltungen suchten nach Perspektiven für die Problemkieze in Berlin. Die Konzentration der Schwierigkeiten im Norden des Bezirkes Neukölln wächst zunehmend, wie ein Soziologe herausfand.

Dass dieser Bezirk so viele Probleme hat, liegt für den Soziologen Hartmut Häußermann auch an dessen Nachbarn. „Neukölln löst die sozialen Probleme für die umliegenden Stadtteile, weil Menschen, die sich in anderen Stadtteilen keine Wohnungen mehr leisten könnten, hierherziehen“, sagte der Wissenschaftler am Montag während einer gut besuchten Diskussionsveranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in der Neuköllner Oper.

Auch, wenn nicht alle Klischees stimmen, die über diesen Bezirk in Umlauf sind: Es könnte vieles besser laufen in Neukölln, das in zwei Hälften gespalten ist. Einen soliden Südteil – und den sozial schwierigen Norden. Hartmut Häußermann, Soziologe an der Humboldt-Universität, hat im Juli eine Studie zur Entwicklung im Bezirk Neukölln zwischen 2001 und 2006 vorgelegt. In Auftrag gegeben hatte die Untersuchung das Bezirksamt. „Die Problemkonzentration in Nord-Neukölln nimmt weiter zu“, sagte Häußermann am Montag. Seiner Studie zufolge bezieht hier jeder zweite Bewohner Sozialleistungen, 60 Prozent der unter 25-Jährigen bekommt Hartz IV. Und acht von insgesamt 21 Berliner Kiezen mit sehr niedrigem Sozialstatus liegen im Neuköllner Norden.

Am stärksten sei die Problemkonzentration im Bildungssystem. Neukölln dürfe für die dort lebenden Kinder aber keine „Endstation“ werden: „Die nachwachsende Generation in diesem Bezirk darf nicht in einem Klima von Trostlosigkeit und Stigmatisierung aufwachsen“, sagte Häußermann in der Debatte. Es sei Aufgabe der gesamten Stadt, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Zur Rolle der Bildung im Bezirk äußerte sich am Montag auch Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD): Während einer Podiumsdiskussion zum Thema „Diversity: Standortvorteil oder -nachteil?" beim Pharma-Unternehmen Bayer-Schering in Wedding sagte Buschkowsky, dass man die Probleme der „Unterschichten-Milieus“ von Neukölln-Nord nicht aus der Perspektive des preußischen Bildungsbürgers angehen könne. „Die Leute dort ticken völlig anders.“ Eltern würden ihre Kinder gar nicht erst zum Sprachtest vor der Einschulung schicken, also machten solche Tests in diesen Milieus keinen Sinn, sagte der Bürgermeister.

In den Unterschichten-Milieus Berlins (und anderen Städten Europas) bahne sich eine „demographische Katastrophe“ an, weil hier sehr viele Kinder geboren würden, die für eine auf Bildung basierende Gesellschaft verloren seien, weil sie „hochgradig beladen sind mit den Problemen ihrer Eltern.“ Es gebe in Berlin kein Regelungsdefizit, sondern ein „Handlungsdefizit“ im Umgang mit den Problemen der Unterschichten, sagte Buschkowsky. „Da gehen ganze Jahrgänge verloren.“ Die deutsche Familienpolitik sei im internationalen Vergleich „ganz weit hinten“. „Wir finanzieren Eltern statt Kinder.“ Das Kindergeld sollte besser direkt in die Institutionen Kita und Schule gesteckt werden. rni/loy

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