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Schrauben fürs Taschengeld. Bei Velofit in Kreuzberg treffen sich Kinder zum Lernen und Basteln.

© Kitty Kleist-Heinrich

Projekt der Stadtmission: Kreuzberger Kinder reparieren Fahrräder

Ob Reifenflicken oder Dynamo überprüfen: In der Kreuzberger Fahrradwerkstatt "Velo-fit" können Jungs und Mädchen zwischen zehn und 16 Jahren viel lernen. Dabei dreht sich nicht alles nur ums Reparieren.

Zuerst fällt einem das Gebäude auf. So wie Vogelgesang im Berliner Sommer manchmal im Verkehrslärm erklingt, so unterscheidet sich diese heitere, vielfarbige Fassade von durchschnittlichen Häusern in durchschnittlichen Straßen. Sie zwingt fast zum Stillstehen. Ein leichtfüßiges Intermezzo in der Alltäglichkeit der Großstadt, das jeden Passanten um Aufmerksamkeit fragt. Was kann das wohl sein? Erst dann fällt die kleine Werkstatt im Erdgeschoss auf. Ein Fahrradschlosser namens Velo-fit. Und ebenso wenig wie die Fassade ist die Werkstatt durchschnittlich. Draußen vor der Tür reinigen zwei Fahrradschlosser im blauen Overall mit viel Wasser und merkbar viel Spaß, ein altes Rad – kleine Fahrradschlosser sind sie übrigens, nicht älter als zehn, elf Jahre. Auch drinnen sieht man Kinder, die munter an den Rädern schrauben.

Das rote Haus mit seinen blauen, gelben, rosa, grünen und weißen Fensterrahmen steht in der Zossenerstraße in Kreuzberg. Mit diesem Antlitz schon seit 2006. Im Kiez genießt das Haus einen gewissen Ruhm: In der Bergmannstraße findet man es auf Postkarten, im U-Bahnhof Meringdamm ist es auf dem Stadtplan markiert worden.

Ein Freundeskreis von zwölf Studenten hat das Haus 1978 gekauft. ,,Wir wollten gern zusammen leben'“, erzählt Jule Becker, eine der Bewohnerinnen. Als die Fassade fast dreißig Jahre später renoviert werden musste und deswegen ein schöner Knöterich abgenommen werden musste, hatten die Eigentümer ihrem Haus wieder ein freundliches Ansehen geben wollen. Zwei von ihnen waren Architekten und hatten drei Entwürfe präsentiert. In drei Stunden haben die zwölf entschieden.

Auch Straßenpassanten gefiel es. ,,Die meisten Leute fanden es toll“, sagt Becker. ,,Weniger zufrieden war aber eine Malerin gegenüber. Die Farben in ihrem Atelier hatten sich durch unsere Fassade geändert. Sie ist in ihre Wohnung umgezogen.“

Die Werkstatt und das Wohnhaus sind ganz unabhängig voneinander, sie haben nur die Fassade und die Farbe Rot gemein. Im Werkstattladen lernen Jungs und Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren nach der Schule, Fahrräder zu reparieren. So lernen sie auch zusammenzuarbeiten, sagt Titus Gramm, der seit drei Jahren als Sozialarbeiter in diesem Projekt der Berliner Stadtmission angestellt ist: „Sie finden hier ein stabiles soziales Umfeld. Sie lernen zuverlässig zu sein und zum Beispiel sich abzumelden, wenn man krank ist.“

Hanna (10) und Lena (11) kümmern sich um ein altes, schwarzes Herrenrad, das vorne in der kleinen Werkstatt hängt. Die eine mustert Lampe, Dynamo, Standarte und ob die Räder nicht zu schwergängig drehen. Die andere notiert alles auf einer Zwischenablage. Sie sind schon seit dem Kindergarten befreundet, sagt Lena, während sie konzentriert durcharbeitet. Jede Woche kommen sie einen Nachmittag hierher.

Jacques (11), die Hände schwarz von Öl und Fett, ersetzt die Bremsen eines Rads. Es ist ein kompliziertes Stück Arbeit, aber Jacques ist erfahren. ,,Ich komme schon seit fast zwei Jahren. Hier ist eine gute Stimmung.“ Ismail (11) versucht zusammen mit dem Freiwilligen Sven Giertz herauszufinden, warum die Lampe eines Damenfahrrads mit Kindersitz nicht funktioniert.

Ali (12) hat eine Hauptrolle am Ende ihrer Schicht. Die fünf jungen Fahrradmechaniker setzen sich im Hinterzimmer mit den Begleitern um den Tisch, wo ein Glas Sprudel wartet. „Was hast du heute gemacht?“ fragt Ali zuerst Jacques und dann alle anderen. „Ich fand es grün“, antworten die meisten – weil sie viel getan und dabei Spaß gehabt haben. Auch für Ali selbst war es ‚grün': „Es gab keinen Streit.“

Durch das Los wird verfügt, wer abwäscht: Hanna. Die anderen räumen die Werkstatt auf. Um 19 Uhr ist alles fertig, dann wird ausgezahlt. Man kann auch das verdiente Geld ansparen, aber alle wollen heute Barzahlung: Ein erfahrener Junge bekommt 7,50 Euro für drei Tage; wer noch nicht so lange dabei ist, etwas weniger. Dann geht’s nach Hause. ,,Tschüss, bis nächste Woche.“

Juurd Eijsvoogel

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