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Die Flüchtlinge vom Alex. Nach einer Woche reichten die Kräfte nicht mehr für den Hungerstreik, doch von "aufgeben" wollen sie nicht sprechen

© Doris Spiekermann-Klaas

Protest in Mitte: Flüchtlinge am Alex beenden Hungerstreik

Am Alexanderplatz demonstrierten zwölf Leute für ihr Bleiberecht, nach fünf Tagen ohne Nahrung und Flüssigkeit gaben sie nun auf. Sie sehen damit ihren Protest aber nicht als beendet an und wenden sich an die Kirche.

Nach zwei Minuten Gespräch kippt er weg. Zu erschöpft, um seine Forderungen nach einem Bleiberecht und nach einem Stopp aller Abschiebungen zu wiederholen. Eine Woche saßen die Flüchtlinge am Alexanderplatz und demonstrierten. Fünf Tage im trockenen Hungerstreik. Sie aßen und tranken nichts mehr. Bei der Frage, wie lange sie noch ausharren wollen, nickten sie im Chor und wie in Trance. Es ist eine Szene vom Sonntagnachmittag. Eine letzte Szene vom Hungerstreik am Alexanderplatz.

Am frühen Abend leerte sich das Lager. Die Flüchtlinge gaben offenbar auf. Vor Erschöpfung. Sie fuhren zur Gedächtniskirche und sprachen mit den Pastoren. Es sei ein friedliches Gespräch gewesen, über dessen Inhalt man Stillschweigen vereinbart habe, danach hätten die Gäste die Kirche aus freien Stücken verlassen, teilte Pfarrer Martin Germer spätabends mit. Aus dem Kreis der elf Flüchtlinge wurde der Verlauf teilweise anders dargestellt. Demnach habe man um Kirchenasyl gebeten, das abgelehnt worden sei, wie ein französisch sprechender Mann, übersetzt von einer Unterstützerin, dem Tagesspiegel am Telefon sagte. Ihnen sei Essen und Geld angeboten und vorgeschlagen worden, sie zum Alexanderplatz zurückzubegleiten. Als sie dies ablehnten, sei angedroht worden, die Polizei zu rufen. Sie hätten daraufhin die Kirche verlassen, sagte der Mann. Sie wollen sich aber weiter auf dem Kirchengelände aufhalten, bis eine Lösung für sie gefunden ist. Der Sprecher der Evangelischen Landeskirche, Volker Jasztrembski, wies darauf hin, dass Voraussetzung für Kirchenasyl die drohende Abschiebung sei, obwohl noch nicht alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft seien. Kirchenasyl werde in der Regel in Abstimmung mit den Behörden gewährt.

Einer sitzt in einer Pfütze

Viele von ihnen stammen aus frankofonen Ländern in Subsahara-Afrika, sind über das Mittelmeer geschippert und haben sich bis nach Berlin durchgeschlagen. Auf dem Bürgersteig der viel befahrenen Alexanderstraße lagen sie am Nachmittag noch durchnässt auf dünnen Isomatten. Einer von ihnen saß regelrecht in einer Pfütze. Die Verzweiflung sah man ihnen an, sie brauchen gar nicht zu sprechen. Ihre Namen wollten sie nicht nennen. Einer von ihnen wiederholte immer wieder, dass er nur nicht zurück will.

Nachts durften die Flüchtlinge eine Plastikplane als Decke benutzen, tagsüber griffen sie sich einen der bunten Regenschirme, die überall verstreut lagen. Gegen das Verbot, Planen tagsüber zu benutzen, hatten sie geklagt. Nur ein paar Touristen schlenderten am Nachmittag am Camp vorbei. Eine Passantin wedelte mit einem Fünf-Euro-Schein und fragte die noch Hungernden, wem sie diese Spende in die Hand drücken könne. Die Flüchtlinge baten um Geld- und Sachspenden, um neue trockene Decken zu beschaffen, Flyer zu drucken und um Zigaretten zu kaufen – diese halfen ein wenig den Hunger und den Durst für einige Sekunden zu unterdrücken. Viel mehr wert war ihnen aber Aufmerksamkeit. Politiker seien nicht hier gewesent, sagten sie: „Niemand interessiert sich für uns.“ Nur der Rettungswagen kam regelmäßig, um kollabierte Flüchtlinge medizinisch zu behandeln. Seit Streikbeginn vor einer Woche gab es 25 Einsätze.

Henkel bleibt hart

Das Bundesinnenministerium hatte bereits am Freitag erklärt, dass im Fall der Streikenden auf dem Alexanderplatz nur der Berliner Senat die Kompetenz besitze, um ihnen Bleiberecht zu gewähren. Die Flüchtlinge müssten sich demnach an die Berliner Ausländerbehörde wenden, die der Senatsinnenverwaltung untersteht und die entsprechende Aufenthaltstitel ausgeben kann. Innensenator Frank Henkel (CDU) lehnte Verhandlungen darüber – ähnlich wie bei den Protesten auf dem Oranienplatz – aber ab. Eine „Vorzugsbehandlung“ werde es mit ihm nicht geben, ließ er wissen, auch nicht bei einem offenen Hunger- und Durststreik. „Berlin wird sich nicht erpressen lassen, über Recht und Gesetz verhandeln und diejenigen Flüchtlinge benachteiligen, die sich hier einem geordneten Verfahren stellen“, sagte Henkel. Im Tagesspiegel-Interview zeigte die Bundesstaatsministerin für Integration und Flüchtlinge, Aydan Özoguz, zwar Sympathie für die Proteste, sie äußerte allerdings ihre Verwunderung über das Instrument des Hungerstreiks und die utopischen Forderungen, die damit verknüpft worden seien.

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